Schon wieder sind wir
mitten in der Passionszeit und nur noch vier Sonntage sind es bis
Ostern.
"Wir
haben nach geltendem Recht gehandelt"
Es wird
in Predigten und Andachten davon geredet werden, wie Jesus verfolgt
wurde, wie er verurteilt wurde und hingerichtet. Da gibt es verschiedene
Sichtweisen und Ansichten, hilfreich könnte es sein, wenn wir
einen Einblick in die damalige juristische Situation hätten,
denn Urteile werden ja nach dem geltenden Recht gefällt und
können nur von daher beurteilt werden. Ein Erlanger Theologe
- Ethelbert Stauffer - hat die entsprechenden Gesetze, Vorschriften
und Bestimmungen gesammelt und hat sie geordnet, 123 "Paragraphen"
sind es geworden. Keine Angst, ich lese die jetzt nicht alle vor!
Wir kennen die Verteidigung
von Tätern der Nazizeit und auch aus der DDR-Zeit: "Wir
haben nach geltendem Recht gehandelt" - und oft ist diese Verteidigung
erfolgreich. Bei den Folgen, die der Prozess gegen Jesus durch die
Jahrhunderte hatte, besonders der Vorwurf gegen die Juden: "Ihr
habt unsern Herrn Jesus getötet", da sollte die damalige
Rechtslage so genau wie möglich betrachtet werden.
Geltendes Recht zur
Zeit Jesu
Das höchste Gericht
der Judenheit war das Synhedrium, der hohe Rat, ein Gremium von
71 Mitgliedern.
§. Das Große
Synhedrium im Tempel zu Jerusalem spricht Recht in der Vollmacht
Gottes. Gott selbst respektiert diese Rechtsentscheidungen.
§. Der Widerspruch gegen die Legitimation des Großen
Synhedriums wird mit dem Tode bestraft.
§. Der Ungehorsam gegen eine Rechtsentscheidung des Großen
Synhedriums wird mit demTode bestraft.
Wir können diese
Bestimmungen ablehnen, doch waren sie damals eine Tatsache. Verständlich
sind sie nur, wenn man bedenkt, es ging bei den Urteilen des Synhedriums
um die Identität des jüdischen Volkes als "Volk Gottes",
und das in einer sehr unruhigen und unsicheren Zeit. Die Geschichte
hat gezeigt, dass dieses Volk nur überlebt hat, weil es seine
religiöse Identität bewahrt hat - der Preis dafür
war sehr hoch!
Hat Jesus die Obrigkeit
missachtet?
Jesus hat das Gebot Gottes
absolut ernsthaft beachtet - nicht aber die vielen Sonderregelungen,
die daraus abgeleitet wurden. Wahrscheinlich hat er die göttliche
Autorität des hohen Rates nicht anerkannt, doch war ihm das
nicht nachzuweisen. Der Vorwurf taucht im Prozessbericht nicht auf.
Was wurde mit dem Tode
bestraft?
Es gibt eine Reihe von
Delikten, auf die die Todesstrafe stand.
§. Wer das Sabbathgebot
oder eine andere Vorschrift der Thora mit Wissen und Willen übertritt,
ist ein Gottesverächter.
§. Er muß verwarnt werden.
§. Wenn er auf die Verwarnung nicht hört und weiterhin
gegen die Thora frevelt, muß er zum Tode verurteilt und
gesteinigt werden.
Das Sabbatgebot
Gegen das Sabbatgebot
hatte Jesus einige Male verstoßen. Die Beobachtung, die Kritik
und schließlich die Verfolgung hatten wohl hier den Anfang.
Dass jemand wegen dem Ausreiben von Ähren, also "Dreschen"
am Sabbat, oder wegen dem Auftrag: "Nimm dein Bett und geh
nach Hause" am Sabbat zum Tode verurteilt werden kann, ist
schwer zu verstehen. Da muss man schon genau hinschauen!
"Am siebenten Tag
ruhte Gott von allen seinen Werken" steht im Schöpfungsbericht.
Und diesen Tag hatte er für sein Volk zum Ruhetag bestimmt.
Damit verband der Sabbat das Volk der Juden mit der Weltschöpfung,
und damit hatte er größtes Gewicht, er war heilig!
Auch heute noch ist der
Sabbat ein Mittelpunkt jüdischen Lebens und jüdischen
Selbstverständnisses. In den Augen der streng-frommen Pharisäer
war Jesus schuldig, sicher gingen ihre Meldungen an das Synhedrium.
Wenn dieses Gericht auf
solche Vorwürfe streng nach den Gesetzen reagiert hätte,
es wäre sehr beschäftigt gewesen, denn wie auch heute
dürfte die Auslegung der Sabbatgebote schon damals einigen
Spielraum geboten haben. Im Prozess taucht auch diese Anklage nicht
auf. Als Sabbatschänder wurde Jesus nicht verurteilt. Nach
der Musik wollen wir weiter sehen, welche todeswürdigen Delikte
er noch beging.
*
* * Musik * * *
"Sabbatsschändung"
- das war ein Anlass der Verfolgung, doch nicht die Begründung
für das Todesurteil. Auch die Mißachtung des Synhedriums
war nicht der Grund.
Entweihung von Tempel
oder Priesterschaft
Noch heiliger als der
hohe Rat waren der Tempel, die Priesterschaft und vor allem der
Hohe Priester. Eine Auflehnung, eine Schmähung oder einer Entweihung
von Tempel oder Priesterschaft, darauf stand die Todesstrafe.
Nun hat Jesus, als er
die Tische der Händler und Geldwechsler im Tempel umwarf nur
im Tempelvorhof agiert, und hat das auch fromm begründet: "Ihr
entweiht mit euren Geschäften das Haus Gottes". Seine
Kritik an den Priestern war so geschickt verpackt, dass er auch
da nicht zu greifen war - doch, was er über den Tempel gesagt
hatte, daraus wollte man ihm einen Strick drehen im Prozess: "Ich
werde den Tempel einreißen und in drei Tagen wieder aufbauen"
- das klang schon sehr nach Lästerung. Aber auch das reichte
nicht für das Urteil.
Volksverhetzung
Besonders kritisch war
der Vorwurf "Volksverführer". Das ist ein Jude, der
einen andern Juden zum Abfall überredet hat oder überreden
will. Jeder muss ihn anzeigen, jeder darf und muss versuchen, ihn
zu entlarven. Geheimagenten des Synhedriums wurden auf ihn angesetzt,
die ihm Fangfragen und Fallen stellen und wenn sie ihn überführen
gleich verhaften sollen. An manchen Stellen der Evangelien begegnen
wir solchen Abgesandten aus Jerusalem die Jesus Fangfragen stellen
und ihn in Diskussionen verwickeln wollen - dazu gehört die
Frage nach dem Zinsgroschen. Sie alle waren seiner Intelligenz und
Schlagfertigkeit nicht gewachsen.
Ein besonders schweres Vergehen war die Verführung zum Massenabfall.
Dann drohte sogar die Ausrottung einer ganzen Stadt, wenn mehr als
die Hälfte der Bewohner dem Abfallprediger folgen.
Bei dem Zulauf, den Jesus
in manchen Orten Galiläas hatte, bestand diese Gefahr durchaus.
Vielleicht waren es Drohungen aus Jerusalem, die dazu führten,
dass viele ihn verließen, so dass er seine Jünger fragte:
"Wollt ihr auch weg gehen?" Damit sind wir schon nah an
der Passionszeit.
Gotteslästerung
Der härteste Vorwurf,
der jemand treffen konnte war "Gotteslästerung".
Dieser Vorwurf kostet in islamischen Ländern ja auch heute
manchem das Leben. Zu Jesu Zeiten war das mindestens genauso streng.
§. Wer den Gottesnamen
Jahwe offen ausspricht, ist ein Gotteslästerer.
§. Wer Gott unter Nennung des Gottesnamens schmäht,
ist ein Gotteslästerer.
§ Wer sich göttliche Ehren oder Reservatrechte anmaßt,
ist ein Gotteslästerer.
§ Ein Gotteslästerer, der die Thora nicht kennt, muß
verwarnt werden. Ein thorakundiger Gotteslästerer braucht
nicht verwarnt zu werden.
§. Wer Gott mit Bewußtsein lästert, muß
verhaftet und durch einwandfreie Zeugenaussagen überführt
werden.
§. Der überführte Gotteslästerer wird gesteinigt.
Es wird nirgends berichtet,
dass Jesus den Gottesnamen "Jahwe" offen ausgesprochen
hat, erst recht nicht, dass er den Gottesnamen geschmäht hätte
- doch göttliche Ehren und Reservatrechte, die hat er sich
angemaßt - und wie:
"Ich bin der Weg
die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch
mich";
"Ich bin das Licht der Welt";
"Ich und der Vater sind eins"
Solche Worte klangen
für fromme jüdischen Ohren anmaßend, und nicht nur
für die. Am Laubhüttenfest, als am letzten, dem höchsten
Tag Wasser aus dem Siloateich über den Altar geschüttet
wurde, eine sakrale Handlung, da ruft er in die Stille hinein:
"Wen da dürstet,
der komme zu mir und trinke!
Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden
Ströme lebendigen Wassers fließen."
Im Streitgespräch
danach versteigt er sich zu dem Ausspruch: "Ehe denn Abraham
war, bin ich" und sicher hat er dabei "bin ich" hebräisch
gesprochen: "ani hu", die Aussage Gottes "Ich bin
es, der euch rettet" eine Formel aus der Tempelliturgie. Da
gab es keinen Zweifel, das war Gotteslästerung! Und Steinigung
war die einzig richtige Antwort. Doch Jesus entwich, seine Zeit
war noch nicht gekommen.
Das Sündenregister
war lang
Sabbatschändung,
Missachtung des große Synhedriums, Ablehnung der Priesterschaft
und Entweihung des Tempels; Abfallpredigt; Volksverführung
- es kommen noch einige Delikte dazu, auf welche die Todesstrafe
stand. Wenn wir uns wundern, wie einer mit einer solchen Verbrechensliste
solange frei herumlaufen kann - es war nicht lange. Wahrscheinlich
nur eineinhalb Jahre, dann kam das Finale. Da sollten wir genau
hinsehen
*
* * Musik * * *
Mindestens fünf
todeswürdige Vergehen
Mindestens fünf
todeswürdige Vergehen waren Jesus vorzuwerfen, und doch dauerte
es über ein Jahr, vielleicht zwei Jahre, bevor ein Urteil fiel.
Es existieren keine Akten des hohen Rates, doch können wir
begründete Vermutungen anstellen. Nicht jeder Vorwurf eines
aufgeschreckten Pharisäers wurde vom Synhedrium beachtet. Als
sich die Klagen häuften, da wurden "Pharisäer und
Schriftgelehrte" von Jerusalem ausgesandt nach Galiläa,
damit sie die Vorwürfe überprüfen. Das dauerte seine
Zeit!
Das Volk um Jesus erschwerte
den Zugriff
Der Zulauf im Volk zu
Jesus unterstrich die Dringlichkeit der Lösung, doch erschwerte
es zugleich den Zugriff. Wenn die Massen diesen für den verheißenen
Messias hielten, dann konnte seine Verhaftung zum Aufstand führen,
zum Aufstand gegen die jüdischen Führer und zum Aufstand
gegen die römische Besatzungsmacht, und das musste in die Katastrophe
führen.
Weil ein solcher messiaspolitischer
Aufstand auch ohne Provokation drohte, war ein Eingreifen der verantwortlichen
Führer zwingend notwendig, nicht nur aus religionsrechtlicher
Sicht. Nach einem spektakulären Wunder, Jesus hatte den gestorbenen
Lazarus auferweckt, da war die Begeisterung für diesen Messias
so groß, dass der amtliche Todesbeschluss im Synhedrium gefasst
wurde. Doch Jesus hielt sich verborgen in den Wochen vor Passah,
dem jüdischen Osterfest.
Showdown in Jerusalem
Am Palmsonntag erscheint
er an der Spitze einer Pilgerschar aus seiner Heimat, lauter rebellische
Galiläer. Er reitet auf einem Esel, wie der Prophet die Ankunft
des Messias verkündet hat, und das Volk bejubelt ihn: "Hosianna!
Gelobt sei der kommt im Namen des Herrn, der König von Israel."
Da war höchste Zeit zum Handeln, und Judas hilft, dass die
Verhaftung ohne Aufsehen gelingt.
Der Prozess
Es gibt viele Darstellungen
des Prozesses vor dem hohen Rat, wenige erscheinen glaubhaft! Da
werden die Juden als böse oder blöde Karikaturen gemalt,
da zeigt Mel Gibson in seinem Passionsfilm einen Auflauf wie in
einer Markthalle, da wird die Verurteilung als Justizmord dargestellt
- manchmal der Juden, manchmal durch Pilatus. Doch die Evangelien
beschreiben einen regulären Prozess. Es wurden Zeugen aufgerufen;
"aber ihr Zeugnis stimmte nicht überein" bemerkt
Markus knapp.
Es gab also ein Kreuzverhör, also auch einen Verteidiger -
und der war Pflicht bei Verhandlungen vor dem Synhedrium.
Es war ein regelrechter, fairer Prozeß, und Jesus - eigentlich
sein Verteidiger, denn der Angeklagte schwieg hartnäckig -
hatte ihn gewonnen. Da greift der Vorsitzende, der Hohe Priester
Kaiphas ein - das war die einzige Verletzung der Prozessordnung,
bei der Dringlichkeit und der Bedeutung des Falles aber verständlich.
"Sage uns frei heraus, bis du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?"
Jetzt ist die eigentliche Frage gestellt, und Jesus antwortete sofort:
"Ani Hu" - "Ich bin ER" Jesus gebraucht die
Heilige Gottesbezeichnung aus dem Alten Testament und aus der Tempelliturgie
für sich selbst - und das dem Hohenpriester ins Angesicht vor
dem heiligen Gericht der Judenheit. Das war Gotteslästerung,
das ganze Gericht war Zeuge. Beim Strafmaß gab es keinen Ermessensspielraum,
einstimmig fällt das Todesurteil.
Spannend, wie das Synhedrium
den römischen Prokurator Pilatus dazu bringt, das Urteil zu
vollstrecken, denn den Juden war von Rom seit einem Jahr die Blutgerichtsbarkeit
entzogen, doch das wäre ein Thema für Karfreitag, wir
haben darüber schon früher nachgedacht, es ist im Internet
zu finden.
Das Todesurteil geht
nach jüdischem Recht in Ordnung
Wir haben versucht die
juristische Situation zur Zeit Jesu in Zusammenhang mit seiner Verfolgung
und seiner Verurteilung zu betrachten. Nach den gültigen religionsrechtlichen
Gesetzen konnten Jesus mindestens fünf todeswürdige Vergehen
vorgeworfen werden. Den Ausschlag zur Verhaftung brachte schließlich
die kritische geschichtliche Situation mit einem drohenden messiaspolitischen
Aufstand. Entgegen der allgemeinen Vorstellung und Darstellung bekam
Jesus einen regelrechten, fairen Prozess vor dem Hohen Rat mit einem
offensichtlich sehr guten Pflichtverteidiger. Doch als der Angeklagte
vor dem Gericht dem Hohenpriester auf seine Frage mit einer Gotteslästerung
antwortet, da ist der Anwalt nicht mehr gefragt, er hätte auch
nichts ändern können. Das Todesurteil war nach gültigem
Recht gefallen.
Dass hier nach göttlichem
Recht Gottes Gerechter völlig zu Recht zum Tod verurteilt wird,
das macht dieses Urteil und diesen Tod so einmalig. Auch die Jünger
konnten erst nach Ostern begreifen was da geschehen ist, dass der
Unschuldige starb für die Schuldigen - weil Gott es so wollte,
zu unserm Heil.
Dr. Hans Frisch
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