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Paulus 2010

gesendet am 29.08.2010 von Dr. Hans Frisch
Paulus-Statue im Vatikan 

Liebe Hörer, seid Ihr noch nicht in den Urlaub gefahren - oder seid Ihr schon wieder zurück?

So oder so, begleitet mich in die Türkei. Nicht nach Antalya - 300 km weiter nach Osten, schon nahe der Grenze zu Syrien, da liegt Tarsus, und von dort stammt Paulus. Besuchen können wir Paulus nicht, wir müssten nach Saulus fragen - und wenn wir ihn gefunden hätten, würden wir als Heiden abgewiesen, denn er stammt aus einer strenggläubigen jüdischen Familie. Aber vielleicht wäre er schon in Jerusalem, dorthin kam er zur Ausbildung. Schriftgelehrter sollte er werden, und in Jerusalem lehrte Gamaliel, die Autorität zu seiner Zeit. Daneben musste aber ein Handwerk erlernt werden - Saulus wählte das der Zeltmacher. Er ahnte nicht, welche Weichenstellungen damit für sein Leben geschehen waren.

Schon die Kindheit und Jugend in einem Geschäftshaus in der Hafenstadt und Bezirkshauptstadt Tarsus, mit einer bunten kulturellen und religiösen Mischung - orientalische Märkte, griechisches Theater, Mysterienkulte und orgiastische Feste, verschiedenste Tempel und dazwischen die Synagogen, er kannte die Welt der "Gojim", der Heidenvölker. Und dann taucht er ein in die Mitte des Judentums, nimmt teil am Tempelgottesdienst in Jerusalem, wo eine Barriere die Nichtjuden bei Todesstrafe von dem Heiligtum ausschließt, er studiert bei Gamaliel, hat Gemeinschaft mit den Pharisäern, den ganz frommen, die streng das Gesetz halten (und stolz darauf sind). Er muss nicht beim Einkauf darauf achten, dass es koschere Speisen sind und das Fleisch von rituell geschlachteten Tieren stammt - es gibt rein jüdische Märkte und Geschäfte.

Er wird ein Schriftgelehrter und ein Pharisäer der strengen Richtung, und empört sich mit diesen über die neue Sekte, die von einem "Messias Jesus" schwärmt, einem Verbrecher, der am Kreuz gestorben ist, verurteilt vom heiligen Gericht Judenheit, dem Synhedrium. Als die Priesterschaft auch die Anhänger dieser Sekte vor das Gericht zitieren will, da ist der junge Saulus mit bei der Fahndung. Und hier macht er immer wieder die Erfahrung, die auch die Priester mit Petrus und Johannes machen mussten. Ganz am Anfang hatten die nach der spektakulären Heilung eines Gelähmten öffentlich von Jesus gepredigt und wurden deshalb verhört. Die Apostelgeschichte schreibt:

Sie sahen aber den Freimut des Petrus und Johannes und wunderten sich; denn sie merkten, dass sie ungelehrte und einfache Leute waren, und wussten auch von ihnen, dass sie mit Jesus gewesen waren.

Landsleute, denen er es nie zugetraut hätte, standen ohne Angst vor Saulus und bezeugten Jesus als den "Christus", den "Messias", den von Jesaja angekündigten, zu unserem Heil leidenden Gottesknecht. Nach eigenem Bekenntnis hat er die Steinigung des Stephanus miterlebt - und begrüßt! Doch dürfte dessen aufrechtes Sterben Saulus im Inneren berührt haben.
Als die Sekte sich ausbreitete über die Landesgrenze, da wollte er auch in Damaskus nach Christen fahnden. Er machte sich auf den Weg, und da geschah es.

Musik

Die Grenze zu Syrien war schon überschritten, in der Ferne wurde Damaskus sichtbar -. Die Situation hatte sich geändert: hier war er im heidnischen Ausland, er konnte sich nicht auf die Autorität der Priesterschaft berufen, seine eigene Autorität musste ausreichen.
Und in dieser Unsicherheit trifft ihn unvermittelt die absolute Klarheit: ein Licht, so hell, dass er für drei Tage geblendet ist und eine Stimme, die ihn ruft: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?"
Eigentlich weiß er die Antwort, als er fragt, wer ihn ruft. "Ich bin Jesus, den du verfolgst."
Aus der konsequenten Verfolgung der Christen wird er berufen zum bevollmächtigten Verkünder des Evangeliums von Jesus Christus, mit dem Versprechen: "Es wird dir schwer werden."
"Wie kommst Du von Urlaubsreisen auf Paulus?" (denn so heißt Saulus seitdem) wird mancher fragen.
Ganz einfach: Paulus wird der Reiseapostel. 11.000 km durch Kleinasien (die heutige Türkei) und durch Griechenland ist er marschiert, von Stadt zu Stadt, und in vielen Städten entstanden Christengemeinden. Ephesus, Philippi, Korinth, Thessaloniki und in der Provinz Galatien, die Namen sind erhalten durch den Bericht der Apostelgeschichte und durch erhaltene Paulusbriefe an die Gemeinden.
Zwanzig Jahre war er unterwegs, in manchen Orten ist er länger geblieben.
Doch am Anfang ging sein Weg in arabische Gebiete. Dort fand er als Zeltmacher sicher Arbeit, und er fand Zeit zum Nachdenken, zum "Klären", wie die Juden sagen.
Fest gegründet im mosaischen Glauben war er zum Eiferer für diesen Glauben geworden, gegen die neue Sekte der an Jesus Christus Glaubenden.
Deren souveränes Auftreten, der Freimut ihres Bekenntnisses selbst bei drohendem Tod, das aufrechte, fast verklärte Sterben des Stephanus unter der Steinigung, das hatte ihn vorbereitet zu der Vision vor Damaskus, und nun wusste er: "Die Botschaft der Christen ist Wahrheit."
"Wenn mein bisheriger Glaube wahr ist und die neue Botschaft wahr ist - dann muss das Neue die Erfüllung des Alten sein!" - Das war zu klären!
Wie schwierig das war, können wir ahnen, wenn wir die Ausgangssituation bedenken.

Die Jünger waren von der Messiaserwartung im jüdischen Volk erfüllt gewesen - und dann war Jesus ihnen begegnet, hatte gepredigt und Wunder vollbracht, die fast bewiesen: "Er ist es!" Doch er starb am Kreuz. Erst nach Ostern erkannten sie, das war nicht das Ende, sondern der Anfang einer ganz neuen Wirklichkeit.

Saulus war zu dieser Zeit weit weg, in Tarsus. Als frommer Jude kam er nach Jerusalem, sein Glaube wurde durch das Studium noch fester gegründet. Die Botschaft von Johannes dem Täufer und den Zulauf zu ihm, die Wunder Jesu und seine Predigten hatte er nicht miterlebt, und die Behauptung: "Jesus, dieser gekreuzigte Ketzer ist der Messias" erschien ihm absurd. Wie sollte der Messias kommen, wie soll das Reich Gottes anbrechen, ohne dass alle Welt es bemerkt.

Und nun wusste er seit dem Ereignis vor Damaskus: "Die Heilsgeschichte Gottes ist ans Ziel gekommen. Mit dem Opfertod Jesu am Kreuz ist das Gesetz erfüllt, jeder kann dieses Opfer für sich annehmen, denn Gott selbst hat es für ihn gebracht."
"Er versöhnte die Welt mit sich selbst, damit ist das Gesetz erfüllt". Dies war die Botschaft für die Juden.
"Gott hat euch seine absolute Gnade und Barmherzigkeit am Kreuz offenbart", das konnten auch Heiden verstehen und annehmen.
Mit dieser Botschaft machte sich Paulus auf den Weg, zunächst ausgesandt von der Gemeinde in Antiochia, danach ließ er sich führen vom Geist Gottes, manchmal sogar durch Träume.
Musik
Immer ging er zuerst in die Synagoge einer Stadt - doch da fand er meist Ablehnung, oft auch Feindschaft. Die griechisch geprägten Menschen, die sich zur Synagoge hielten, die nahmen die Botschaft an, und es entstanden Christengemeinden.
Während in den judenchristlichen Gemeinden in Jerusalem und Umgebung die Erzählungen der Apostel weitergegeben wurden, bis sie schließlich in den Evangelien schriftlich vorlagen, begann Paulus sehr bald zu schreiben - Briefe an seine Gemeinden in Korinth, in Ephesus, in Philippi und an andere. Seine Briefe sind die frühesten christlichen Schriften, die erhalten sind.
Wie ein Brandstifter war Paulus durch die römisch-griechische Welt gezogen und hatte viele Brandherde des Evangeliums gezündet, die Feuer angefacht und genährt durch nochmalige Besuche und durch seine Briefe.
Doch im Verlauf der Jahrhunderte dominierte die Kirche des Petrus, des ersten Bischofs von Jerusalem und des ersten Papstes in Rom.
Nicht das Gesetz - aber Gesetzlichkeit, nicht Beschneidung - aber Kindertaufe, kein heiliger Tempeldienst - aber sakramentale Messen, keine Opfer - aber die Eucharistie als "Messopfer", so bekam die Kirche eine judenchristliche Struktur, und nicht selten wurden Heiden mit Gewalt in diese Struktur hineingezwungen.
Wo die Glut der Paulusbotschaft wieder aufflammte, wurde sie brutal erstickt. Erst nach einem dreißigjährigen Krieg konnte die evangelische Kirche neben der katholischen bestehen, zunächst nur in regionaler Trennung.
Bayern ist immer noch ein vorwiegend katholisches Land - doch Nürnberg war eine der ersten protestantischen Reichsstädte. Das ist Geschichte!

Weitgehend hat die katholische Kirche ihre politische Macht verloren und ist der evangelischen Kirche ihre Nähe zur politischen Macht abhanden gekommen - beide haben so die Chance, sich der Paulusbotschaft neu zu öffnen.

"Das Wort vom Kreuz" ist auch heute noch den Gebildeten, den "Griechen" sagte Paulus, eine Torheit und den orthodox Gläubigen, den "Juden" nannte er sie, ein Ärgernis. Denen aber, die sich darauf einlassen, den "Geretteten" ist es Gottes Kraft.

Das klingt abstrakt, heute wie damals. Doch sollten wir heute weniger Schwierigkeiten haben es zu akzeptieren. Schließlich gibt es seit über 100 Jahren die Quantentheorie, für die meisten völlig abstrakt, und etwas abstrakt auch für die Spezialisten, doch niemand zweifelt an ihrer Wahrheit.

Als Einstein die Relativitätstheorie verkündete, da war die klassische Physik nicht ungültig geworden, doch eine neue Wirklichkeit wurde offenbar. So ist die jüdische und jede andere Religion nicht ungültig durch Christus den Gekreuzigten, doch die Wirklichkeit Gottes ist in ihm so offenbart, dass jeder sie ganz neu erleben kann. Selbstverständlich gab es Quanten schon lange vor Max Planck und die Beziehung zwischen Raum, Zeit und Masse bestand seit Beginn der Welt, doch erst durch Plank und Einstein wurde es erkannt.

So bestand Gottes Liebe und Barmherzigkeit seit Adam und Eva - endgültig offenbart wurden sie in Christus, und Paulus hat es so erklärt, dass griechisch geprägte Menschen und schließlich alle Menschen es verstehen können.

Martin Luther kam durch den Brief, den Paulus an die Christen in Rom geschrieben hat, zur Erkenntnis des Evangeliums, zur Befreiung aus der Angst und zur Kraft für die Reformation.
Von Anfang an gab es Widerstand gegen Paulus, in letzter Zeit wieder zunehmend. Manche meinen, Jesus vor Paulus schützen zu müssen, vor der "Kreuzestheologie", die das Leben Jesu fast ignoriert. Doch offensichtlich war erst nach Kreuz und Auferstehung Gemeinde Christi entstanden, auch war die Botschaft des Paulus verständlich und heilskräftig für die Menschen. Ohne diese Entwicklung wüssten wir vom Leben Jesu wohl kaum etwas - und die kritische Theologie gäbe es nicht.

Wem jetzt das Interesse an Paulus wieder oder neu geweckt wurde, der könnte seine nächste Urlaubsreise "auf den Spuren von Paulus" planen, im Internet gibt es jede Menge Angebote dafür. Und wenn ihr ihn trefft - grüßt ihn von mir!

Dr. Hans Frisch