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Interview mit Stacie Orrico
gesendet am 27.08.2006 von Heiko Müller
 

1. Worauf können wir bei deinem neuen Album "Beautiful Awakening" gespannt sein?

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Album "Beautiful Awakening" von Stacie OrricoNun, das neue Album ist, na ja, ich glaube, es spricht genau die Liebhaber der alten Musik an. Die Texte sind sehr ernst und mitten aus meinem Leben und passen genau in den Alltag junger Frauen und Männer.
Die Musik ist ein bisschen souliger. Das ist mehr das, was ich als Künstlerin wirklich darstelle und ist auch die Art Musik, mit der ich groß geworden bin und die mich inspiriert hat: Soul- und Black-Gospel-Musik in ihrer mehr ursprünglichen Art.

Wer kam eigentlich auf den Albumtitel "Beautiful Awakening"?

Das war meine Idee. Viel davon hat mit den ganzen Veränderungen zu tun, die ich mitgemacht habe in den letzten paar Jahren, als ich zwischen den Alben eine Auszeit genommen habe, weggegangen bin, nach Hause. Weißt du, die schwierigen Zeiten in meinem Leben haben angefangen, mich zu der Person zu machen, die ich heute bin. Die haben mich hoffentlich reifer gemacht. Und schließlich habe ich herausgefunden, dass jeder harte Lebensabschnitt und jede schwierige Zeit auch einmal zu Ende gehen. Wenn du zulässt, dass dich das formt, dann stärkt das deine Persönlichkeit. Ich habe so viel gelernt in dieser Zeit. Das war die Zeit des wunderbaren Klarwerdens über viele Dinge, und als ich den Titel "Beautiful Awakenings" schrieb, dachte ich: Das ist der Albumtitel!

Das Album kommt hier morgen heraus, in den Staaten aber erst im Januar, warum denn das?

Ja, weißt du, ich bin so glücklich, dass überall auf der Welt die Leute mein Album unterstützen. Als amerikanische Künstlerin ist es mir natürlich sehr wichtig, mein Album dort vorzustellen. Aber gerade als Amerikanerin will ich nicht einfach sagen: Toll, dass die in Deutschland mein Album kaufen, aber ich geh da sowieso nicht rüber. Weißt du, am liebsten will ich in jede Kirche gehen oder wo auch immer die Leute mein Album unterstützen, und möchte meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen und meine Fans hier kennen lernen und die Presse und alles. Aber ich kann ja nicht alles gleichzeitig, also bringen wir das Album zuerst international auf den Markt und dann gehe ich zurück nach Amerika und habe Zeit, es dort überall vorzustellen.

2. Nach deiner ersten Erfolgswelle hast du vor ein paar Jahren eine Pause eingelegt, weil dir der Stress zu viel wurde. Gab es damals ein bestimmtes Ereignis, wo du gesagt hast: jetzt ist Schluss?

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Stacie OrricoNun, ich denke, das hat sich so langsam entwickelt. Bis es zu einem Punkt gekommen war mit meiner kleinen Schwester. Ich rief meine Mutter zu Hause an und sagte, sie soll mal meine kleine Schwester ans Telefon holen. Und meine Mutter sagte: Tut mir Leid, Stacie, sie will nicht ans Telefon kommen. Und ich hab gesagt: Was soll das heißen, sie will nichts an Telefon kommen? Lass mich sofort mit ihr reden! - Und sie sagte: Weißt du, sie ist sauer. Du bedeutest ihr viel, aber du bist ja nie zu Hause. Sie hatte gerade einen Tanzauftritt, den hast du verpasst. Sie ist wirklich traurig.
Weißt du, da habe ich gedacht: O, mein Gott, ich verliere gerade die Beziehung zu den Menschen, die ich am allermeisten liebe, nur weil meine Arbeit mich voll einnimmt. Ich meine, ich hatte doch gar kein Leben mehr. Ich war nie auf der High-School. Es kam mir vor, als hätte ich noch niemals Freunde gehabt. Nicht dass mich meine Freundinnen aus meiner Kindheit verstoßen hätten, aber ich bin auf Tour, seit ich zwölf bin. Und außer in der Musikbranche habe ich ja gar keine Freunde.
Meine Familie hatte ich viele Monate lang nicht mehr gesehen, und ich habe gemerkt: Das ist es mir nicht wert! Es war mir auf einmal egal, welchen Erfolg mein Album hat, und auch, die schönen Orte, wohin ich noch reisen sollte, waren mir egal. Weil du am Ende des Tages ja doch wieder völlig alleine bist und keine Freunde hast und keine Familie. Das macht wirklich keinen Spaß!
Da habe ich gemerkt, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen und ein mir ein Leben neben der Musikbranche aufzubauen. Man weiß ja nie. Eines Tages könnte ich aufwachen und meine Karriere ist vorbei. Und dann will ich auf keinen Fall dastehen und nichts mehr haben, weil ich die ganze Zeit nur an meine Karriere gedacht habe, weißt du?

3. Wolltest du damals für immer mit der Musik aufhören?

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Weißt du, ich war ja gar nicht frei, das zu machen, was ich wirklich innerlich gebraucht habe. Ich dachte, gut, was bis jetzt passiert ist, ist vorbei, das ist nichts mehr für mich. Ich muss mal nach Hause und mir Zeit nehmen und mal sehen, was wird. Mal sehen, ob mich irgendwann mal wieder die Leidenschaft packt, Musik zu machen und Lieder zu schreiben und mich inspiriert zurück zu kommen.

Aber ich werde das niemals nur wieder machen, weil mich irgend jemand unter Druck setzt oder mir das Gefühl gibt, dazu verpflichtet zu sein. Als ob ich keine Wahl habe: Na Stacie, was willst du denn sonst machen, außer singen?
So habe ich mich eine Zeit lang gefühlt. Wenn ich keinen Erfolg mit der Musik habe, dann bin ich ein Versager. Weil mein ganzes Sein nur in der Musikbranche verankert war. Davon musste ich unbedingt einmal Abstand gewinnen.

Während dieser Zeit hast du wieder ein normales Leben gelebt, Zeit für Freunde gehabt, für die Familie. Aber dann bist du doch wieder zurück zu deiner Musik gegangen. Was war der Ausschlag?

Weißt du, ich liebe Musik, das habe ich immer getan. Und noch mehr liebe ich Menschen und Geschichten erzählen, und ich mags, wenn ich die Geschichten anderer Leute höre. Und ich bin froh, so ein musikalisches Ventil zu haben und meine Erlebnisse mitteilen zu können und was ich sonst noch im Leben gelernt habe.
Aber ich kann das nicht zu dem Preis genießen, meinen gesunden Menschenver-stand und meine Beziehungen noch einmal zu riskieren. So wie damals, als ich gedacht habe, ich selbst und mein persönlicher Wert hängen nur von meinem Erfolg als Künstlerin ab.
Irgendwann war ich soweit, meine Sicherheit in etwas anderem als meiner Arbeit zu suchen. Und ich habe erkannt:
Ich bin echt, ich bin wertvoll, ich werde als Person geliebt, als Mitglied dieser Familie und als jemand unter Freunden und als Gemeindeglied hier in dieser Kirche.
Ich habe zum ersten Mal gespürt, ein wertvoller Mensch zu sein. Und mit einem Mal war mit klar, dass mein Wert nicht in meiner Arbeit besteht.
Ich konnte wieder zurückkommen mit so viel mehr Freiheit. Ehrlich, ich liebe doch, was ich tue. Wenn ich jetzt aber morgen aufwachte mit durchlöcherten Stimmbändern und ich nicht mehr singen könnte, wäre es auch gut, weil ich ja noch mehr am laufen habe als nur das.
Ohne diese Grundlage wäre ich nicht wieder gekommen.

4. Viele Dinge haben sich verändert zwischen damals und heute. Was machst du heute anders?

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Ich fühle mich als völlig neue Künstlerin. Ich verbringe meine Freizeit anders, ich bin mit einem anderen Team unterwegs, mein Album hat einen ganz anderen Musikstil. Das beeinflusst natürlich auch die Show, wo ich immer Tänzer hatte und mich zehnmal umgezogen habe und Glitzermakeup getragen habe. Jetzt trete ich auf, wie ich das als kleines Mädchen gemacht habe, als ich in der Kirche mit einem großen, glänzendem Gospelchor gesungen habe. Und die kleinen Jazz-Clubs, weißt du, mit Liedern von Ella Fitzgerald.
So ähnlich sind auch meine Auftritte jetzt. Ich nehme die Gitarre und spiele selbst Klavier und spiele auch mit dem Publikum. Ich denke: Hoffentlich meinen die Leute, sie schauten mir beim Komponieren zu. Weißt du, ich spiele am Klavier die Lieder noch eine Spur persönlicher, als ich sie ursprünglich geschrieben habe. Und ich habe wirklich großartige Soulmusiker in meiner Band. Man ist irgendwie viel näher dabei.
Es ist doch klar, dass du als junger Künstler noch gar nicht weißt, was du willst. Also bestimmt das ein Funktionär, der deinen Stil festlegt. Es gibt da so viele Leute, die dir sagen, wo es lang geht: Du bist eine junge Künstlerin, und als Mädchen musst du unbedingt tanzen. Ja, ich hab schon als Kind getanzt, denkst du, tanzen kann ich ja. Dann musst du noch dieses Glitzerzeug anziehen. Na gut, ich bin ein Mädchen, ich kann so etwas tragen.
Weißt du, jetzt, wo ich älter bin, merke ich, dass ich das alles nicht bin. Ich habe zwar mit dem ganzen Zeug an getanzt, als ich aufgewachsen bin, aber das ist eigentlich gar nicht mein Stil, sich fünfzigmal umzuziehen und so ein Zeug. Eigentlich bin ich mehr ein Hippie, bin auch viel eher wie ein Hippie aufgewachsen. Das kommt jetzt, wo ich älter werde, immer mehr durch bei meiner Musik.

5. Spielst du dann heute noch deine Erfolgstitel "Stuck" und "More to Life" auf deiner Tour?

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Auf Tour bin ich ja noch gar nicht, aber ich bin sicher, dass ich diese Lieder einbaue. Ich glaube, einer der größten Fehler, den Künstler machen können, ist die Sprungsteine und Fundamente wegzuwerfen, die sie zu dem gemacht haben, der sie heute sind."Stuck" und "More to Life" würde ich heute nicht mehr herausbringen, als Person, die ich heute bin mit all meinen Erfahrungen. Jetzt bin ich zwanzig und bin ein ganz anderer Mensch als noch vor ein paar Jahren. Aber ich verachte überhaupt nichts, was ich in der Vergangenheit gemacht habe. Ich war eben anders, jünger, in einem ganz andern Lebensabschnitt, habe verschiedene Dinge ausprobiert, habe ganz anders empfunden, war viel jünger. Und deshalb schätze ich auch sehr, dass mich "Stuck" und "More to Life" auf diesem Album so weit gebracht haben. Die haben natürlich großen Einfluss auf meine Karriere gehabt. Also werde ich sie weiter spielen, auch wenn sie vom Stil ein bisschen anders sind.

Glaubst du, dass du den Tourstress und die ganzen Interviews dieses Mal anders wegsteckst?

Ja, weißt du, ich habe ja eine Menge gelernt darüber, was ich schaffen kann und was nicht. Einer der größten Fehler in meiner Vergangenheit war, so zu tun, als ob ich immer alles schaffen kann. Jederzeit, kein Problem mit einem Lächeln in meinem Gesicht, wo ich nichts zu lachen hatte. Aber das ist gar nicht machbar. Ich bin ein Mensch. Und noch einmal: Ich liebe meine Arbeit. Das heißt jetzt nicht, dass ich abweisend oder anspruchsvoll sein muss. Aber es ist gut, für mich zu sagen: Ich mach meine Sache so gut es geht. Ich weiß, dass ich alle 5 Wochen zu Hause sein muss. Das brauche ich unbedingt, diese Auszeit mit meiner Familie.
Und es sind auch andere Leute, die ich während der Tour die ganze Zeit um mich habe. Eine meiner besten Freundinnen ist jetzt immer dabei. Das ist auch ein großer Unterschied. Und ich denke, dass ich mir ein paar Sicherheitsnetze gespannt habe für den Fall, dass wieder harte Zeiten kommen. Ich weiß, es werden auch wieder harte Zeiten kommen, wo ich ausgebrannt sein werde und nach Hause will. Aber jetzt mache ich deswegen aus Angst davor noch keinen Rückzieher.

6. In deiner Familie bist du mit Gott groß geworden. Hat sich deine Beziehung zu ihm in den letzten Jahren verändert?

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Ja, die hat sich wirklich sehr verändert. Vielleicht nicht so, wie die Leute das erwarten würden. Ich vermute, dass eine Menge Leute denken, dass du in die Musikbranche hineingerätst und erst einmal deinen Glauben ausschaltest. Das kannst du nicht einfach so hinter dir lassen, dein normales Leben. Bei mir ist der Glaube viel mehr zu einem persönlichen Teil meines Lebens geworden, sodass ich nun noch viel mehr von ihm abhänge. Weißt du, als ich jünger war, da war das alles ganz einfach: O, ja, ich glaube an Gott und gehe zur Kirche, und dies ist mein perfektes kleines Leben. Aber als die Dinge wirklich ernst wurden, da musste ich mich wirklich an der starken Beziehung festklammern, die ich zu Gott aufgebaut hatte. Und der Wahrheit, die darin ist, also den Sinn des Lebens, und wie du durch schwierige Zeiten hindurchkommst und meine Bestimmung hier auf der Erde und alle diese Dinge. Ja, mein Glaube hilft mir wirklich ein großes Stück auf meinem Weg wieder hierhin zurück. Ich wüsste gar nicht, was sonst wäre, wie ich beim letzen Mal durch alles durchgetragen worden bin.

Das Telefoninterview mit Stacie Orrico führte Heiko Müller, AREF

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