Zum 3. Advent gesendet am 16.12.2007 und 16.12.2012 von Dr. Hans Frisch |
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Die Weihnachtsgeschichte im historischen Zusammenhang
So wird es in neun Tagen wieder von vielen Kanzeln gelesen werden - und den Menschen wird weihnachtlich ums Herz.
Über 150 km Entfernung, Maria vielleicht auf dem Esel, Joseph bestimmt zu Fuß. Es könnte sein, dass er gerade heute vor 2007 Jahren aus Nazareth aufgebrochen ist. Kenner wissen, das Datum stimmt nicht, denn der König Herodes ist im Jahr 4 vor Beginn unserer Zeitrechnung gestorben, und der lebte noch als Jesus geboren wurde. Auch der 24. Dezember steht nicht in der Geburtsurkunde - der wurde eingeführt, als die frühe Kirche das römische Fest der Wintersonnenwende zum Geburtstag Jesu ernannte. Ich hoffe das hat Eurer Vorweihnachtstimmung keinen Abbruch getan. Schwieriger in der Weihnachtstimmung zu bleiben wird es, wenn wir versuchen das junge Paar auf seinem Weg zu begleiten. Schon der Anlass war alles andere als festlich. "Ein Gebot vom Kaiser Augustus" war ausgegangen, dass "alle Welt" geschätzt wird. "Alle Welt", das war die römische Welt, das römische Weltreich, mit Frankreich, Spanien, Nordafrika, Ägypten, Kleinasien und dem vorderen Orient. Dieses ganze Land - das meint den Grund und Boden - war Eigentum von Rom. Und von allem, was darauf wuchs oder erwirtschaftet wurde, kassierte Rom Steuern. Also musste festgestellt werden, wem welcher Acker, welcher Weinberg, welcher Olivenhain gehört, wer also dafür zahlen muss. Und Augustus schickte seine Landvermesser in alle seine Länder, dazu gehörte auch das Reich des Vasallenkönigs Herodes. Damit das vermessene Land den einzelnen Steuerpflichtigen zugeordnet werden konnte, mussten alle in die Heimatorte ihrer Familien, denn, nur wer persönlich zusammen mit seinem Landanteil erfasst wurde in den Steuerlisten, konnte persönlich belangt werden. Unsere Fantasie ist wohl kaum in der Lage, uns auszumalen, wie es da zuging - doch Augenzeugen haben so eine Schätzung beschrieben. Musik Im Jahr 300 berichtete ein römischer Schriftsteller von einer Volkszählung, einem "Zensus", in Syrien. «Die Zensitoren erschienen allerorts und brachten alles in Aufruhr. Die Äcker wurden Scholle für Scholle vermessen, jeder Weinstock und Obstbaum wurde gezählt, jedes Stück Vieh jeder Gattung wurde registriert, die Kopfzahl der Menschen wurde notiert, in den autonomen Städten wurde die städtische und ländliche Bevölkerung zusammengetrieben, alle Marktplätze waren verstopft von herdenweise aufmarschierenden Familien, jedermann erschien mit der ganzen Schar seiner Kinder und Sklaven, überall hörte man das Schreien derer, die mit Foltern und Stockschlägen verhört wurden, man spielte die Söhne gegen die Väter aus und preßte die treuesten Sklaven zu Aussagen gegen ihre Herren, die Frauen gegen ihre Ehemänner. Wenn alles vergeblich durchprobiert war, folterte man die Steuerpflichtigen, bis sie gegen sich selber aussagten, und wenn der Schmerz gesiegt hatte, schrieb man steuerpflichtigen Besitz auf, der gar nicht existierte." Nach diesen Zensitoren erschienen
Kontrolleure die dann nochmals von Kontrolleuren kontrolliert wurden,
und jeder musste "Erfolg" erzwingen. So schlimm dürfte
es unter Augustus
nicht gewesen sein. Doch besinnlich und festlich ging es damals in Bethlehem
und in den anderen Städten bestimmt nicht zu - und das mit dem Quartier
im Stall und der Krippe als Wiege ist durchaus verständlich. In Kerzenlicht,
mit Heuduft und der Wärme von Esel und Rind könnte das sogar
etwas gemütlich gewesen sein. Wahrscheinlich war die kleine Familie
auch nur abends und in der Nacht zusammen, denn an den Meldestellen der
Registratoren dürften die Wartezeiten lang gewesen sein. Da waren
Widersprüche zu klären, Zeugen aufzurufen, fehlende Urkunden
zu besorgen, Aussagen im Kreuzverhör zu überprüfen bis
schließlich die Angaben in der Liste standen, durch einen Eid auf
den Kaiser bekräftigt, und der Nächste aufgerufen wurde. Wenn man die Evangelien liest, könnte man meinen, mit Rom hätte Jesus nicht viel zu tun gehabt in diesen Jahrzehnten. Die Flucht nach Ägypten war ja eine Flucht vor dem König Herodes - doch der war König von Roms Gnaden und wurde gehasst, besonders von den ganz Frommen, den Zeloten, denen schon der Eid auf den römischen Kaiser ein Gräuel war. Für die wäre das Auftreten eines Messias Signal zum Aufstand gewesen, denn sie erwarteten ihn als Befreier. Und eben deshalb wollte der König das Kind beseitigen. Nicht von den Zeloten hatte Herodes erfahren, dass der Messias geboren ist, sondern von Weisen aus dem Morgenland, aus Mesopotamien - und da sehen wir das Kind eingebunden nicht nur in die Geschichte seines Volkes, sondern in die Geschichte der Völker, wenn man will, des Kosmos, denn es war ein Sternenzeichen, das die Weisen geführt hatte. Musik Ich weiß, das klingt für manche zu einfältig, den Bericht der Bibel so wörtlich zu übernehmen. Generationen von Theologen haben sich daran abgearbeitet, mit Beweis und Gegenbeweis (die aber auch nicht bewiesen waren). In diesem wissenschaftlichen Denken bleiben die Wunderberichte, die Engelserscheinungen, der wandernde Stern und manches andere ausgespart. Wenig bleibt übrig von der Lebensgeschichte dieses Kindes - am Ende nur die Ahnung von einem sehr eindrucksvollen, edlen, frommen Menschen, den es schon gegeben haben muss - sonst wäre die Entstehung des Christentums ja nicht zu erklären. Die Christen der frühen Kirche hätten dann ihrem Gründer (der selbst eigentlich keine Religionsgemeinschaft gründen wollte) die Geschichten zugeschrieben oder angedichtet, damit er als der verheißene Messias erscheint - nicht in böser Absicht sondern aus innerem Bedürfnis. Es gibt Dutzende Varianten
solcher Deutungen und Ansichten, doch geht es im Grunde nur um eine Alternative. Wenn er es nicht war, dann bleibt er immer noch eine der wichtigsten Personen der Weltgeschichte, denn ohne ihn gäbe es kein christliches Abendland mit allen Errungenschaften und Gefahren. Die Welt wäre anders, vielleicht besser, vielleicht schlechter - doch sicher anders. Wenn er der verheißene Erlöser ist, dann ist er die deutlichste Offenbarung Gottes für den Menschen. Dass eine solche Biographie nicht einfach "normal" verlaufen kann, ist klar. Da mussten schon Dinge geschehen, die den Eltern klarmachen, dass dieses Kind der ist, denn nur von ihnen konnte er es erfahren, dass er es ist. Da mussten die Erzählungen von den Weisen und von der Flucht dem Jungen dort im Exil in Ägypten das Bewusstsein seiner Besonderheit geben, mit dem er dann die prophetischen Texte des Alten Testaments aufnahm als Texte die von ihm reden, so dass er mit 12 Jahren die Priester in Erstaunen versetzte mit seiner Kenntnis der Schriften. Erst mit 30 Jahren wird ihm die Gewissheit geschenkt. Als er sich von Johannes taufen lässt, hört er eine Stimme: "Dies ist mein lieber Sohn", und danach geschehen wunderbare Sachen, die ihm bestätigen, dass er es ist, und welche die Aufmerksamkeit des Volkes auf ihn lenken. Weil aber immer noch das Auftreten eines Messias das Signal zum Aufstand gegen die Römer wäre, ohne Aussicht auf Erfolg, deshalb geriet er zunehmend in den Blick der Verantwortlichen. Nach einem spektakulären Wunder, der Auferweckung eines Toten, da sagt der Hohepriester: "Wenn wir ihn lassen, dann werden alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute" - er kann damit nur den Aufstand gemeint haben - und der Hohe Rat fällt den Todesbeschluss. Auch darin erkennt Jesus für sich die Erfüllung der Verheißung, der Verheißung vom leidenden Gottesknecht, welcher für die Sünden des Volkes stirbt - und er geht seinen Weg weiter bis ans Kreuz. Wie hätte die Biographie
anders verlaufen können, wenn er es wirklich war? Und wie Liebende staunend zurückschauen
auf den zarten Beginn ihrer Beziehung, so dürfen wir staunend und
froh hinschauen auf die Krippe im Stall, auf das Kind in der Krippe, auf
Maria und Joseph, den Ochsen und den Esel, die Hirten und die Weisen.
Dr. Hans Frisch |