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Sarazin

gesendet am 26.09.2010 von Dr. Hans Frisch
 

Die Diskussion, eher das Geschrei um Sarrazin, das wäre ein Thema für die nächste Sendung - dachte ich. Doch dann verließ mich der Mut.

Über 100.000 Treffer für Sarrazin bei Google, und Meinungen von hasserfüllt bis total zustimmend - wobei die ablehnenden in den Medien (und in der politischen Landschaft) überwiegen, die Zustimmung mehr im Volk und bestimmt an den Stammtischen. Alles, was dagegen - gegen die Argumente und gegen die Person - gesagt werden kann, ist gesagt. Um ihn eventuell zu verteidigen müsste man das Buch durcharbeiten - das ist nicht zu schaffen. Und was würde es bringen?

Als ich am vorigen Samstag die FAZ aus dem Briefkasten holte mit dem Gedanken: "Ob wohl wieder etwas zu dem Thema drin ist?" da stand auf der ersten Seite, links oben als erstes Wort: "Sarrazin". "Gabriel verletzt meine Ehre" so wird auf einen Artikel im Feuilleton hingewiesen, eine Antwort Sarrazins auf die Anklagen von Sigmar Gabriel.
"Also doch Sarrazin" dachte ich.

"Anleitung zur Menschenzucht", "Vorbereitung des Bodens für Hassprediger im eigenen Volk" und andere Anklagen hatte der Vorsitzende von Sarrazins Partei gegen ihn erhoben in der "Zeit". Sicher, einige der Argumente in dem Buch könnten für eine solche Argumentation missbraucht werden - doch, wer nicht sagen will, was nicht missbraucht werden könnte, der muss schweigen - besonders zu so einem heiklen Thema wie Integration. Den möglichen Missbrauch, die mögliche Fehldeutung aber als Waffe gegen den Autor zu gebrauchen, ist ein übler Missbrauch.

In dieses Spannungsfeld von aggressiver Offenheit und aufgeschreckter, lärmender politischer Korrektheit kann man sich eigentlich nicht wagen. Wir wollen deshalb nur einen Aspekt betrachten, allerdings einen zentralen in der Argumentation: Die Intelligenz.

Eine Behauptung lautet, vereinfacht gesagt: "Die Zunahme von Gruppen mit geringerer Intelligenz in einem Volk bedroht dessen Leistungsfähigkeit und damit seine Konkurrenzfähigkeit im globalen Wettkampf." Aus den vorliegenden Zahlen leitet Sarrazin die Existenz dieser Gefahr in unserem Volk ab und sieht die Gefahr wachsen. Das erscheint logisch, und wenn die Zahlen stimmen, dann sollte die Gefahr nicht verdrängt werden.

Die Problematik ist nicht neu, und es entsteht der Verdacht, dass, wer gegen den Warner zu Felde zieht, von seinen eigenen Versäumnissen in der Vergangenheit ablenken will, als die Probleme sich entwickelten. Doch auch diesen Verdacht sollte man besser nicht äußern.

Die Diskussion erweckt den Eindruck, eine höhere und steigende Intelligenz in unserem Volk wäre die Rettung vor einer Katastrophe. Doch sind wir gerade durch eine Katastrophe gegangen, eine weltweite. Und die Verursacher dieser Finanzkrise gehörten zu den ganz Intelligenten. Gerade ihre Intelligenz hatte sie in die Position gebracht, in der sie viel Unheil anrichten konnten - und auch die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft haben es trotz aller Intelligenz nicht verhindert, ja nicht einmal rechtzeitig kommen sehen.

Eine hohe Intelligenz garantiert keineswegs Erfolg und Sicherheit (was die Gefahr der zu geringen Intelligenz nicht ausschließt!) Es kann mit größter Intelligenz die größte Dummheit begangen werden - von üblen, bösen und verderblichen Handlungen mit großer Intelligenz ganz zu schweigen. Da muss wohl noch etwas dazu kommen, damit es gut wird.

Musik

Mangelnde Intelligenz und Bildung kann für eine Gruppe schädlich, ja gefährlich sein, besonders im Wettkampf mit konkurrierenden Gruppen. Doch haben wir miterlebt, wie höchst intelligent eine Gruppe, ein Volk, ja das Finanzsystem der Welt bedroht und gefährdet werden kann.

Wie ein Werkzeug ist die Intelligenz. Mit einem Schneidbrenner können eingeklemmte Menschen beim Unfall befreit werden, aber auch ein Tresor geknackt werden beim Einbruch. Wenn die Intelligenz meinem Egoismus dient, dann kann das sehr erfolgreich, aber auch sehr schlecht sein. Wenn viele Egoismen sich summieren, dann kann das zu einer weltweiten Finanzkrise führen - auch zu einem Krieg.

"Also, schaffen wir die den Egoismus ab, und alles wird gut" - so ungefähr war der Ansatz des Sozialismus, der schließlich in den Kommunismus führen sollte - doch er führte in den Zusammenbruch des Sozialismus. Ohne Egoismus ist die Kraft raus!

Wir haben keine Wahl, das Spiel geht weiter - und angesichts der superschnellen, superintelligenten, supereffektiven globalen Spielzüge kann einem schon schwindlig werden. Es ist wie ein Rennen auf einer Bergstraße, am Abgrund entlang. Weil wir aber weder die Fähigkeit noch die Kompetenz besitzen, daran etwas zu ändern, können wir nur hoffen und beten. Beten vor allem für die, die am Schalthebel und am Steuer sitzen.

Es waren gar nicht so viele, die in Positionen waren, wo ihre Gier gigantischen Schaden anrichten konnte (und musste!). Wenn da einige ausgebrochen wären und verantwortlich gehandelt hätten - vielleicht wäre die Lawine nicht losgegangen. Offensichtlich fehlte da etwas, eine menschliche Qualität, die den Egoismus beherrschen kann. Wir nennen das gewöhnlich "Charakter", doch gibt es da gewaltige Unterschiede, und jeder hat seinen Charakter, den er hat. Die Eltern, die Freunde, die Biografie, die Gesellschaft, und wohl auch die Gene, haben uns so geprägt - und so sind wir jetzt. Einige oder viele sind schuld, wenn unsere Entwicklung schief gegangen ist - und meist finden wir Andere, manchmal ganze Gruppen, die uns okay finden.

So richten wir uns ein mit unserem Charakter, und haben manchmal gerade dadurch Erfolg, weil wir weniger Hemmungen und weniger Bedenken haben als andere. Moral würde uns da nur behindern in unserer Karriere. Das gibt es im Geschäft, in der Politik, im Sport, eigentlich überall. Da hilft auch kein Aufruf zur "moralischen Aufrüstung", schon gar nicht, wenn der Bundeskanzler, von dem er kommt, in einem Spendenskandal verstrickt ist. Schließlich bleibt nur die "moralische Aufrüstung durch Entrüstung" - und nach eine solchen Entrüstung hört sich die Reaktion mancher empörter Kritiker an.

Wenn ich ein Rezept zur Heilung des Dilemmas hätte, würde ich in die Politik gehen und versuchen es anzuwenden, selbst mit dem Risiko, auch missverstanden zu werden. Wahrscheinlich wäre die notwendige Arznei so bitter, dass alle sie ablehnen würden - womit die politische Laufbahn beendet wäre.
Und damit können wir uns aus der politischen Diskussion verabschieden.

Musik

Wer bei all dem Reden bisher den Eindruck hatte: "Ich bin beim falschen Sender", der hat eigentlich recht. AREF ist kein politischer Sender - und zu den verschiedenen möglichen Meinungen beim Thema Sarrazin noch eine zu haben, ist nicht unser Ziel.

"Der egoistische Gebrauch der Intelligenz ist die Ursache vieler Übel", zu der Ansicht waren wir gekommen - ja, "die Summierung vieler Egoismen kann zerstörende Macht entfalten".
Auf der anderen Seite fehlt ohne Egoismus die Kraft zur Entwicklung.

In diesem Dilemma eine Balance finden und handlungsfähig zu bleiben, ist Aufgabe der Politik - auflösen kann sie es nicht, weil jeder seinen eigenen Egoismus hat (und braucht!).
Eine Lösung (für jeweils einen Einzelnen) wäre die Befreiung zu einem "erlösten Egoismus" - der nicht die Beziehungen benutzt, um sich zu bereichern, sondern seinen Reichtum, seine Begabungen, seine Person in die Beziehungen einbringt und sie bereichert.
Hoffentlich haben wir das alle schon erlebt: als wir verliebt waren, war unsere größte Freude, der Geliebten (oder dem Geliebten) wohl zu tun, eine Freude zu bereiten, sie (oder ihn) glücklich zu machen. Und wenn wir ehrlich sind, war das die beste Zeit in unserem Leben.

Wirklich gelingen kann es aber nur, wenn wir wieder geliebt werden.
Von dem Gebot: "Du sollst Gott über alle Dinge lieben und deinen Nächsten wie sich selbst" sagt Jesus: es ist das höchste, und es beinhaltet das ganze Gesetz.
Ausdrücklich ist das alte Gesetz des Alten Testaments gemeint, der Begriff "christliche Nächstenliebe" ist deshalb falsch. Es geht um menschliche Nächstenliebe.
Es wäre ein Gebot zur Lösung der meisten angesprochenen Probleme.

Leider ist es ein unmögliches Gebot - denn Liebe lässt sich nicht befehlen. Selbst "Eigenliebe" ist nicht selbstverständlich.
Wenn ich wirklich geliebt bin, dann bin ich wirklich frei zu lieben - nicht nur den, der mich liebt. Und meine Liebe macht andere frei.

Gott sei Dank - überall wo Menschen zusammen leben, geschieht das. Doch, Gott sei's geklagt, viel zu oft scheitert es - durch meine Schuld oder Schuld der anderen. Und auch dieses Scheitern trifft nicht nur mich, es zieht oft weite Kreise.
"Du sollst Gott über alle Dinge lieben", das könnte hilfreich sein - doch auch diese Liebe lässt sich nicht befehlen.

Wirklich gut wäre es, wenn Gott mich lieben würde, so, dass ich es erleben und annehmen und spüren kann. Das müsste aber schon so sein, das mein Versagen, meine Schuld, mein Egoismus, meine Verblendung keine Rolle spielen, und es müsse so sein, dass ich merke, hier ist nicht nur ein "Gern haben", ein "Mögen", sondern eine abgrundtiefe absolute Liebe.
Eine solche Liebe könnte mich freimachen Gott zu lieben, und auch meinen Nächsten, der von Gott genauso geliebt wird wie ich.

Wer mich kennt, der wird denken: "Jetzt kommt der schon wieder mit dem Kreuz."
Wer eine bessere Befreiung zu einem erlösten Egoismus kennt, der sollte sie mir zeigen.

AREF, die "Arbeitsgemeinschaft Rundfunk evangelischer Freikirchen", hat keine bessere Botschaft als das Evangelium von Jesus Christus, der mit seinem Tod am Kreuz die Liebe Gottes besiegelt hat - und Gott hat sie mit der Auferweckung Jesu bewiesen.

Damit lässt sich keine Politik machen, aber leben kann man damit.