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Südkoreas Aufstieg: Ein tiefer Fall der KinderzahlenKaum Kinder: Mit 1,22 Kindern pro Frau liegt Südkorea weltweit am unteren Ende18.05.2010: Mit durchschnittlich 1,22 Kindern pro Frau liegt der Staat weltweit am unteren Ende der Rangliste. Ist die Bevölkerungspolitik über ihr Ziel hinausgeschossen?, fragt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
In den 1960er und 1970er Jahren sorgte sich die Weltöffentlichkeit um eine "Bevölkerungsexplosion". Viele Entwicklungsländer versuchten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Bevölkerungswachstum mit politischen Strategien zu verlangsamen. Sie reagierten damit auf die hohen Wachstumsraten, die mehr als das Dreifache dessen betrugen, was die Industrieländer je erlebt hatten. Hinzu kam, dass sich in einem Großteil der Entwicklungsländer seit 1950 die Sterberate verringerte - eine Entwicklung, wie sie vorangehend schon in Europa und Nordamerika stattgefunden hatte. Die Strategien der Entwicklungsländer erzielten stark unterschiedliche Ergebnisse, von großem bis zu gar keinem Erfolg. In Südkorea lag den Vereinten Nationen zufolge die durchschnittliche Kinderzahl je Frau (Total Fertility Rate) 1970 noch bei 4,53. Der Staat liefert ein Beispiel für ein ehemaliges Entwicklungsland, dessen Programm zur Senkung der Geburtenrate unerwartete Folgen hatte: Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau sank so weit unter zwei, dass die Bevölkerung in Zukunft schrumpfen und das Durchschnittsalter der Gesellschaft deutlich steigen wird. Die Geburtenrate Südkoreas gehört gegenwärtig mit durchschnittlich 1,22 Kindern pro Frau zu den niedrigsten weltweit. Global liegen noch keine vergleichbaren Daten für 2009 vor, aber den neuesten Zahlen des "World Population Data Sheet 2009" vom Population Reference Bureau in Washington zufolge ereichen nur die beiden Sonderverwaltungszonen der chinesischen Volksrepublik Hongkong und Macau sowie Taiwan geringere Werte. Südkorea selbst veröffentlichte im März 2010 neue Zahlen für 2009: Demnach lag die Kinderzahl je Frau sogar nur bei 1,15 - gegenüber 1,19 in 2008. Die Zahl der Geburten sei von knapp 466.000 in 2008 auf rund 445.000 in 2009 gesunken. Ziel der Familienpolitik: Kleinere und wohlhabende FamilienDie Bevölkerung Südkoreas war lange vornehmlich ländlich und bäuerlich geprägt. Noch in den Jahren zwischen 1955 und 1960 bekamen die Frauen im Mittel mehr als sechs Kinder pro Frau. Im Jahre 1962 begann Südkorea mit einer nationalen Familienplanungskampagne, um die Zahl ungewollter Schwangerschaften zu senken. Die Kampagne sollte zur Aufklärung, zur Verbesserung der medizinischen Grundversorgung von Müttern und Kindern und zur Bereitstellung von Versorgungsgütern und Diensten für Familien beitragen. Das Programm galt als unerlässlich, um Wirtschaftswachstum und Modernisierung voranzutreiben. Die Bevölkerung reagierte allgemein zustimmend auf das ausgegebene Modell der "kleinen und wohlhabenden Familie". Bis 1974 fiel die durchschnittliche Kinderzahl je Frau auf 3,87. Gleichzeitig vollzog sich eine rasche Industrialisierung. Das sorgte dafür, dass die Nation ihren landwirtschaftlichen Charakter immer mehr verlor. Zuversichtlich aufgrund des vorherigen Erfolgs propagierte die Regierung im Jahr 1982 das Ziel einer Zwei-Kind-Familie, das innerhalb der nächsten vier Jahre durch ein Programm finanzieller Anreize erreicht werden sollte. Der Plan wurde sogar übererfüllt: Schon 1984 lag die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau bei 1,98, also unterhalb des Niveaus von 2,1, bei dem eine Bevölkerung langfristig stabil bliebe. Obwohl Ziel erreicht, machte man so weiter
Obwohl das Ziel erreicht war, änderte Südkorea das Programm zur Familienplanung nicht. Die Altersstruktur war noch immer jung, das Wachstum der Bevölkerung setzte sich fort und Bedenken gegenüber negativen Effekten durch Übervölkerung blieben bestehen. Im Jahre 2002 jedoch machte das Nationale Institut für Altersvorsorge ("National Pension Institute") darauf aufmerksam, dass der Rentenfonds bald aufgebraucht sei, da die Anzahl von Personen im Erwerbstätigenalter im Vergleich zu der von Rentnern zurückgehe. Die Regierung erkannte, dass die Zahl von Frauen im geburtsfähigen Alter abgenommen hatte und sich diese Entwicklung noch beschleunigen würde. Außerdem fiel die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau weiterhin. Im Jahr 2005 erreichte die Fertilitätsrate das Tief von 1,19 - damit lag sie nun schon seit fast 20 Jahren unter dem Reproduktionsniveau. Erst 2005 reagiert die PolitikErst 2005 reagierte die südkoreanische Regierung, nachdem sie sich mit Experten - auch vom Berlin-Institut - ausgetauscht hatte: Sie setzte einen Beratungsausschuss für den Präsidenten ein und verabschiedete ein Gesetz, um die Grundlage für eine neue, nun Geburten fördernde Politik zu schaffen. Der Saero-Maji-Plan ("Neuanfang"), dessen Laufzeit auf die Jahre von 2006 bis 2010 festgelegt wurde, zielt darauf ab, das Land kinderfreundlicher zu gestalten. Er beinhaltet eine lange Liste von Maßnahmen, unter anderem Steuererleichterungen - vornehmlich für den Wohnungskauf - und die Unterstützung der Kinderfürsorge. Die Zahl der Betreuungseinrichtungen soll um 30 Prozent gesteigert und die Kinderbetreuung am Arbeitsplatz verbessert werden. Die Regierung will Eltern bei der Schulbildung finanziell unter die Arme greifen und Hilfe für ungewollt kinderlose Paare anbieten. Fertilitätsrate bis 2020 auf den OECD-Durchschnittswert von 1,6 Kinder pro Frau steigernDiesem "First Basic Plan for Low Fertility and Aged Society" sollen von 2011 bis 2015 ein "Second Plan" und von 2016 bis 2020 ein "Third Plan" folgen. Letzteren verkündete die Regierung im Juni 2006 unter dem Namen "Vision 2020". Er soll die Fertilitätsrate bis 2020 auf 1,6 Kinder pro Frau steigern, auf den Durchschnittswert der OECD-Länder, und das Land auf eine rasch alternde Gesellschaft vorbereiten. Die Ursachen für die niedrige Fertilitätsrate liegen vermutlich darin, dass in Südkorea die alten Familientraditionen, die vergleichbar sind mit denen in anderen ostasiatischen Ländern, noch immer das Denken prägen: Demnach bildet die patrilineare Erbfolge vom Vater zum ältesten Sohn das zentrale Element des familiären Zusammenhalts. Das Verhältnis von Vater und Kind wird generell als wichtiger erachtet als das von Mann und Frau. Heirat ist gesellschaftlicher Standard, deshalb bleibt die Zahl unehelicher Kinder relativ gering. Die Ausbildung der Kinder wird für wichtig erachtet. Mütter scheiden in vielen Fällen aus einem Arbeitsverhältnis aus, um die traditionelle mütterliche Rolle zu übernehmen. Junge Familien leben meist in der Nähe ihrer Eltern, die sie bei der Erziehung der Kinder unterstützen. Dieses Familienmodell und die damit verbundene Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern finden sich jedoch immer seltener: Südkorea hat einen enormen Modernisierungsschub hinter sich. Die Frauen sind zunehmend gut ausgebildet und erwerbstätig, werden gesellschaftlich aber noch nicht allgemein als gleichberechtigt anerkannt. Die Männer beteiligen sich kaum an den Aufgaben der Kinderbetreuung und im Haushalt. Zudem sind die Kosten gestiegen, um ein Kind großzuziehen, insbesondere die Schulbildung ist teuer. In einer Umfrage aus dem Jahre 2005 gaben 49 Prozent der allein stehenden Frauen an, dass sie nicht heiraten wollen. Gleichzeitig fiel der Untersuchung zufolge die Zahl der verheirateten Frauen, die angaben, sich Kinder zu wünschen, innerhalb von acht Jahren von 90 auf 65 Prozent. Da fast alle Kinder ehelich geboren werden, hat der sinkende Stellenwert der Ehe große Folgen für die durchschnittliche Kinderzahl je Frau: 2007 lag einer im vergangenen Jahr im Japanese Journal of Population vorgestellten Studie zufolge der Anteil der in einer Ehe geborenen Kinder bei 98,5 Prozent. Auch das steigende Alter der Frauen bei der ersten Eheschließung wirkt sich auf die Kinderzahl aus: 1985 lag es noch bei 24,1 Jahren, 2007 bei 28,1 Jahren. Eine Rückkehr zu den traditionellen Familienverhältnissen wird es somit nicht geben. |
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Ähnlich wie in europäischen Ländern mit sehr niedriger Fertilität zeigt sich in Südkorea, dass eine Gesellschaft geradezu zwangsläufig niedrige Kinderzahlen erfährt, wenn sie einerseits moderner wird - vor allem im Bildungssektor - andererseits aber in der Vorstellung von Familienmustern und Geschlechterrollen in traditionellen Strukturen verharrt. Die Studie "Emanzipation oder Kindergeld? Was die neue Familienpolitik Deutschlands von anderen europäischen Ländern gelernt hat" des Berlin-Instituts aus dem Jahr 2008 hat gezeigt, dass mittlerweile in jenen Ländern mehr Kinder geboren werden, die in Bezug auf Wohlstand und auf die Gleichbehandlung der Geschlechter die modernsten Gesellschaftssysteme aufweisen. Solange es in Südkorea nicht gelingt, dass sich die Geschlechter im gesellschaftlichen und familiären Leben auf gleicher Augenhöhe begegnen, dürfte es demnach schwer sein, die Nachwuchszahlen zu erhöhen. Geschlechtsspezifische Abtreibungen sind zurück gegangenBemerkenswert ist der Erfolg von Südkoreas Kampagne gegen geschlechtsspezifische Abtreibungen. Diese hatten in der Vergangenheit dazu geführt, dass wesentlich mehr Jungen als Mädchen geboren wurden. Während im Jahr 2000 je 100 neugeborenen Mädchen noch 113 Jungen geboren wurden, kamen im Jahr 2009 je 100 Mädchen 107 Jungen zur Welt. Zum Vergleich: In Deutschland lag das Geschlechterverhältnis bei der Geburt bei 106 Jungen pro 100 Mädchen. Auch eine bessere Kinderbetreuung und die finanzielle Unterstützung bei der Schulbildung versprechen mehr Erfolg als eine Stärkung überkommener Traditionen. Denn koreanische Frauen äußern - wie die Frauen in nahezu allen Industrieländern - zwar im Mittel den Wunsch, zwei Kinder zu bekommen, dies scheitert aber offensichtlich an den Verhältnissen. Die Finanzkrise 1997 trug ebenfalls dazu bei, dass sich die Frauen mit der Eheschließung Zeit ließen und die durchschnittliche Kinderzahl je Frau weiter sank. Das hat zur Folge, dass die heutige Bevölkerungsgruppe der unter 15-Jährigen, die in einigen Jahren das potenzielle Elternalter erreicht, im Vergleich zur Vorgängergeneration enorm geschrumpft ist. Selbst ein signifikanter Anstieg der Geburtenrate könnte deshalb nicht mehr verhindern, dass sich das zahlenmäßige Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern verschlechtert. Jedes weitere Jahr wird die Situation noch verschärfen und die Gesellschaft rasant altern lassen. Quelle: DEMOS Newsletter des Berlin-Institut für Bevölkerung
und Entwicklung, Schillerstr. 59, 10627 Berlin, vom 17.05.2010 |
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