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Von Kreuzchen und Kreuz
gesendet am 17.03.2002 von Dr. Hans Frisch
 

"Hast du schon dein Kreuz gemacht" - so wird mancher heute gefragt werden, am Tag der Stichwahl des Bürgermeisters. Keine Angst, das soll keine Aufforderung zur Bürgermeisterwahl werden - und auch keine Wahlempfehlung. Wir sind in der Passionszeit, und das Kreuz soll unser Thema werden.

Es geht um ein Symbol, das am häufigsten auftretende Symbol der Welt - selbst wenn man die Kreuze auf den Wahlzetteln und die "+" beim Rechnen nicht mitzählt.

"Nun gut, zwei Striche - was ist schon dabei?" wird vielleicht mancher denken. Wir wissen nicht, was Menschen vor 5000 Jahren dachten, wenn sie ein Kreuz in einen Stein meißelten oder in eine Tontafel ritzten. Wir können vermuten, dass Menschen, die vor langer Zeit in Indien Hakenkreuze an Wände malten, wohl die Sonne meinten - vielleicht auch die vier Richtungen: Vorn, hinten, rechts, links - und dabei das Gefühl bekamen: "Wir sind in der Mitte".

Welche Kraft ein Symbol - gerade das Hakenkreuz - haben kann, das habe ich in meiner Kindheit miterlebt - und die Ausstellung im neuen Dokumentationszentrum gibt einen starken Eindruck davon.

Wenn man im Internet nach: "Symbole" und "Kreuz" sucht, dann erscheinen da über 9.000 Adressen; die reichen von den Symbolen der Handytastatur bis zur den ältesten Kreuzsymbolen aus der Steinzeit. Wenn wir auf die Straße gehen, sind wir umstellt von Symbolen: Verkehrszeichen und Automarken, Firmenlogos und die Piktogramme für Toilette, Telefon, Straßenbahn, und, und, und.

Da lohnt es, einmal über "Symbol" nachzudenken, den Begriff, die Herkunft, die Bedeutung - ehe wir uns dem Symbol "Kreuz" zuwenden. Es fing an - wie das meiste - mit Adam und Eva. Nein, nur mit Adam! Als Adam erschaffen war, dort im Garten Eden, da merkte Gott: "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei" - so erzählt es der Schöpfungsbericht. Gott führte dem Adam alle Tiere vor - und wie er sie nennen würde, so sollten Sie heißen. Seit dem stehen Begriffe für Wesen - Symbole für Realitäten. Natürlich kannte Adam noch nicht den griechischen Begriff Symbol - genauso wenig wie wir uns bewußt sind, dass alle Begriffe Symbole für das Genannte sind.

Das Wort "Symbol" fanden die Griechen. Da hatten sie lange vor dem Dokument und dem Passwort eine Möglichkeit gefunden, die Identität eines Boten oder Beauftragten zu sichern: Die Vertragspartner zerbrachen eine Tontafel - jeder bekam eine Hälfte. Kam ein Bote mit dem Teil, der genau zum anderen paßte - "symballein" auf griechisch - dann war er legitimiert. Daraus wurde "Symbol" für das, wenn Zeichen und Wirklichkeit zusammenpassen, "zusammenfallen" - und dieser Begriff bot sich an für Zeichen, die eine religiöse Wirklichkeit symbolisieren sollten.

Wir lieben die Sonne - eine ganze Urlaubsindustrie lebt von den Massen der Sonnenhungrigen. Unsere frühen Vorfahren lebten mit der Sonne und durch die Sonne, nicht nur wegen des Tag-Nacht-Rhythmus, noch mehr wegen dem Wechsel von Sommer und Winter. Wenn die Sonne von Tag zu Tag immer tiefer stand, da kam die Angst auf, dass sie vielleicht ganz verschwindet - die mythischen Feste im Dezember sollten das verhindern, und sie haben es verhindert. So ist verständlich, dass früh ein Zeichen, ein Symbol für Sonne gefunden wurde. Ein Kreis, mit eingezeichnetem Kreuz, aus dem leicht das Hakenkreuz entstehen konnte, und schließlich das Kreuz ohne Haken. Und so, wie das Fest der Wintersonnenwende tief verankert ist im Empfinden und Erleben der Menschheit, so sind diese Symbole verankert.

( Musik )

Wenn man Menschen fragt, die einen Kreuzanhänger an der Kette tragen, kommen sehr verschiedene Antworten: "Meine Mutter hat es mir gegeben". "Ich trage es als Schmuck". "Es schützt vor Unglück". "Ich finde es schön". Manche meinen es auch als Zeichen für das Kreuz, an dem Jesus gestorben ist. Kaum einer würde das Kreuz ohne weiteres gegen ein anderes Schmuckstück austauschen, und viele haben das Gefühl: "Es ist heilig" - auch wenn sie sonst nicht viel mit Religion und Glauben im Sinn haben.

Ich glaube, das sind Reste einer im Mittelalter tief verankerten Überzeugung, daß im Kreuz Gottes Macht über den Teufel wirksam ist. Das Kreuz wurde nicht nur geschlagen oder hochgehalten zum Segen, sondern auch zur Abwehr des Bösen, des Versuchers.
In einer Zeit, die Magie als selbstverständliche Wirklichkeit erlebte, war auch die magische Wirkung von Symbolen selbstverständlich. Wir haben zwar die Magie durch eine wissenschaftlich - rationale Welterklärung überwunden, aber tief in uns sind magische Anteile unserer Persönlichkeit erhalten und immer noch wirksam. Dieser Bereich in uns ist empfänglich für solche Zeichen und braucht sie auch. Die Bedürfnisse aus diesem magischen Anteil in uns halten einen großen Markt an magisch-mythischen Angeboten aufrecht, und da ist neben Sternkreiszeichen auch das Kreuz-Amulett zu bekommen. Oft hängen sie zusammen an einer Kette - denn Magie fragt nicht nach Vernunft. Selbst das Kreuz mit dem Gekreuzigten - das Kruzifix - muß nicht unbedingt als christliches Glaubensbekenntnis gemeint sein, und wenn, dann hat es nicht selten auch magische Bedeutung.

Es geht recht bunt zu mit dem Kreuzeszeichen am Hals, dazu kommen immer mehr die Henkelkreuze, alte ägyptische Symbole als Zeichen des Lebens, von der Sonne gespendet.
Von Hakenkreuzen brauchen wir (oder dürfen wir) fast nicht mehr reden - weil das so alte und schöne asiatische Sonnen-Symbol durch den "germanischen" Mißbrauch total out ist!
Ernsthaft und vernünftig betrachtet ist heute das Kreuz weltweit ein christliches Symbol und hat als solches sich erhalten und ausgebreitet.

An die 400 Kreuzformen haben sich im Laufe der Zeit entwickelt - so das griechische Kreuz mit gleich langen Schenkeln, das lateinische Kreuz - wie es in der Kirche meist vorkommt, das T-förmige Kreuz und viele Spezialformen - am bekanntesten davon das Johanniter-Kreuz mit den spitz gegabelten Enden, das sich so gut auf Rüstungen und Ritterschilden macht.

( Musik )

Da sind wir vom Kreuz auf den Wahlzetteln auf ein ganz schön weites Feld geraten mit Sonnen- und Kreuzsymbolen, Symbolbegriffen und Symbolbedeutung, Kreuzamuletten und Kreuzformen, magischer und religiöser Bedeutung.

Bleibt die Frage: Was hat das mit der Passionszeit zu tun ?
Ich möchte die Frage andersherum stellen:

"Wie ist das älteste (und für mich schönste) religiöse Symbol zum Symbol für das Christsein geworden ?"

"Weil Jesus am Kreuz gestorben ist" - wäre die einfache Antwort. Aber, warum starb der Jude Jesus am Kreuz, wo doch die jüdische Hinrichtungsart die Steinigung war (was kaum ein Symbol abgegeben hätte).

"Reiner Zufall" könnte man sagen. Aber ein Zufall, der wie perfekte Regie aussieht!
Die Weichen wurden schon 18 Jahre früher gestellt - in Rom.

Tiberius war Kaiser geworden, und er hatte Sejanus, einen Ritter, der ihm einmal das Leben gerettet hatte, zum wichtigsten Mann in Rom gemacht, zum Chef der Prätorianergarde, der Leibstandarte des Kaisers. Sejanus ist ein Antisemit - mit strenger Weisung schickt er Prokuratoren nach Palästina. Sie sorgen für Ruhe und Ordnung - und für ihren Reichtum. Bald wird auch ein Hoher Priester gefunden, der zusammen mit den Römern für Ruhe sorgt - und für seinen Reichtum - Kaiphas.

Am besten kann der mit den Prokurator Pontius Pilatus, schon seit sechs Jahren, obwohl sich der aufführt wie ein Tyrann: "Bestechung, Gewaltakte,Plünderungen, Mißhandlungen, unaufhörliche Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, willkürliche und brutale Grausamkeit" - so beschreibt der König Herodes von Galliläa den römischen Herrscher über Judäa.
Pilatus war ein Mann des Antisemiten Sejanus. Der besorgte ihm den Ehrentitel "amicus caesaris" - "Freund des Kaisers". Und als Sejanus vor zwei Jahren seinen Plan, die gesamte jüdische Rasse auszurotten, konkret vorbereitete, da war Pilatus mit dabei.
Provozierende Münzen mit dem Porträt des göttlichen Kaisers werden geprägt. Den Juden wird die Blutsgerichtsbarkeit entzogen - eine schwere Demütigung für einen Staat. Im Tempel von Jerusalem richten die Römer ein Blutbad unter den Passahspilgern an.
Doch am 18. Oktober des vergangenen Jahres war Sejanus wegen aufgedeckter Umsturzpläne verhaftet und hingerichtet worden - und reihenweise endeten seine Freunde und Kumpane durch Selbstmord oder durch den Henker. Im ganzen Imperium wurde Jagd auf Verbündete des Sejanus gemacht, Verleumdung und Denunziation hatten Hochkonjunktur.

Die antisemitischen Planungen wurden gestrichen - und Pilatus bekam Angst. Jederzeit konnten kaiserliche Boten aus Rom eintreffen und ihn zum Prozeß laden - mit sicherem Todesurteil. Da bringen ihm die Juden einen Mann, den er hinrichten soll. Sie hatten ihn der Gotteslästerung für schuldig befunden, und darauf stand nach ihrem Recht eindeutig die Todesstrafe - die sollte er, Pilatus, jetzt vollstrecken

Nicht dass er Skrupel gehabt hätte, eventuell einen Unschuldigen zu töten, nicht dass es ein ungewöhnliches Ansinnen der jüdischen Justiz gewesen wäre - schon öfter hatten die Römer jüdische Todesurteile vollstreckt. Aber jetzt war die Situation heikel - und sie wurde noch komplizierter, als der Angeklagte vor ihm stand.

Nach der Musik wollen wir auf diese Begegnung hinschauen, die wie kaum eine andere die Weltgeschichte beeinflußt hat.

( Musik )

Der jüdische Prozeß hatte mit einem einstimmigen Todesurteil des Synhedriums geendet. Drei Jahre früher wäre Jesus gesteinigt worden, jetzt müssen die Römer die Hinrichtung übernehmen - und das hieß Kreuzigung.

Wir wollen bei unserer Sendung am Karfreitag über diese Hinrichtungsart nachdenken, es ist die grausamste die Menschen erfunden haben. "Also auf zu Pilatus" - denn es eilte! Ketzer sollten vor großen Festen hingerichtet werden, öffentlich, als abschreckendes Beispiel - und das Passahfest stand vor der Tür. Natürlich mußte das Urteil politisch gefärbt werden für den römischen Statthalter.

"Dieser hat sich zum König erklärt" - das klang bedrohlich in dieser unruhigen Zeit, in der Untergrundkämpfer nur auf das Zeichen zum Losschlagen warteten. Vor einem Jahr hätte er das Urteil wohl unbesehen unterschrieben, aber jetzt - bloß keinen Fehler machen.
"Ich will ihn sehen!" Soldaten gehen mit, um den Angeklagten zu holen. Was für einer wird es sein? Einer von den tollwütigen Zeloten, die nur mit Gewalt zu bändigen sind? Einer von den ganz frommen, die ihn, den Heiden, keines Blickes würdigen? Ein Feigling, der um sein Leben bettelt? Einer der bereit ist, seine Freunde ans Messer zu liefern, damit er sein Leben rettet?

Da tritt er schon ein, aufrecht, mit offenem Blick. "Königlich" - mag Pilatus einen Moment gedacht haben. Er, der römische Ritter steht einem Manne gegenüber, wie er noch keinem begegnet ist in diesem orientalischen Land.

"Bist du ein König?" eröffnet er das Verhör - eher ist es ein Gespräch. "Willst du das wissen oder haben die da draußen es dir gesagt?" kommt die ruhige Rückfrage. Und dann die Antwort: "Ich bin ein König. Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt. Ich bin in der Welt, um von der Wahrheit zu zeugen". So redet kein Rebell - so redet erst recht kein Feigling. Und wer so redet, der ist ungefährlich - denn Wahrheit - die ist ohnmächtig in dieser Welt der Macht.

"Was ist Wahrheit?" entgegnet Pilatus, und darinnen klingt die Resignation eines Mannes, der als junger Ritter wohl auch angetreten war, und der Wahrheit dienen wollte.
"Ich finde keine Schuld an ihn" - ist sein Urteil, und damit beginnt der Abschnitt im Drehbuch, bei dem sich Filmregisseure, Komponisten von Passionen, Schriftsteller und Prediger profilieren können. Das braucht nicht erzählt zu werden, das kann man nachlesen in den Evangelien.

Am Ende steht der mächtige, grausame, tyrannische Pilatus als feiger Verlierer da. Er unterschreibt das Todesurteil. "Wenn du den nicht kreuzigst, dann bist du des Kaisers Freund nicht mehr" - so hatten sie ihm gedroht. Das war deutlich: "Du, amicus caesaris, wir werden dich in Rom denunzieren als Sejanus-Kumpan!" Da schickt er diesen, von dessen Unschuld er überzeugt ist, zur Hinrichtung - und so wurde das grausamste Tötungsinstrument, daß Kreuz, zum Symbol für die Erlösung durch den Opfertod des ganz Gerechten für die Schuldigen.

Fast rührend ist der Versuch des Pilatus, der Wahrheit trotzdem zu dienen: Ein Schild oben am Kreuz verkündete den Hinrichtungsgrund. "JESUS NAZARENUS, REX JUDAEORUM" -" Jesus von Nazareth, König der Juden"- in lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache ließ er bei Jesus draufschreiben - abgekürzt INRI . Und da ließ er nicht mit sich handeln, als die Juden es abschwächen wollten. "Was ich geschrieben habe das habe ich geschrieben."

Noch ein Wort zum Abschluss- für die, welche mich kennen, eigentlich überflüssig. "Die Juden" - das meint, die politisch und religiös Mächtigen, so wie wir sagen: "Die Deutschen haben Konzentrationslager gebaut" oder "Die Engländer und Amerikaner haben Dresden zerstört" - obwohl sehr viele in diesen Völkern daran nicht beteiligt waren und es abgelehnt haben oder hätten.

Wenn man wirklich jemand für das Drama in Jerusalem im Jahr 32 verantwortlich machen wollte, dann wäre es die Regie, die das zu unserm Heil hat geschehen lassen.

Dr. Hans Frisch