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Der Bundespräsident in der Kritik

gesendet am 12. Februar 2012 von Dr. Hans Frisch
 

Was haben AREF, Bild-Zeitung, Spiegel und „Die Zeit“ gemeinsam?

04.01.2012: Bundespräsident Christian Wulff im gemeinsamen Interview von ARD (Ulrich Deppendorf) und ZDF (Bettina Schausten)
04.01.2012: Bundespräsident Christian Wulff im gemeinsamen Interview von ARD (Ulrich Deppendorf) und ZDF (Bettina Schausten). Foto: AREF, Screenshot vom ZDF

Sie halten Ausschau nach Themen, die „dran sind“. Aber AREF hat es dabei am leichtesten – wir müssen nicht auf Einschaltquoten oder Verkaufszahlen sehen – denn wir haben keine Werbeblöcke, keine Werbebeilagen oder anderen Inhalte die Geld bringen. wir haben keine Mitarbeiter zu bezahlen und für die Unkosten kommen die beteiligten Gemeinden auf – so können wir völlig frei wählen zwischen den möglichen Themen.

Trotzdem schielen wir schon mal auf die Zuhörerzahlen – denn wir machen unsere Sendung ja nicht zu unserem Zeitvertreib oder als intellektuelles Fitnessprogramm. wir hoffen (und vermuten) dass es die Hörer – also euch – interessiert, und dass ihr sagen würdet: „Macht weiter - wir schalten wieder ein“.

Nun ist an diesem Sonntag kein Thema, das der Festkalender anbietet. Sechster Sonntag nach Epiphanias, das gibt nichts her. Auch ein Ausblick auf den Valentinstag wäre etwas mager. Doch, in allen Medien und in aller Munde ist zurzeit (noch) der Bundespräsident (Wulff) - das Thema scheint interessant, und es ist interessant!

Das Vergehen, der Anlass für den Sturm im Blätterwald und das Rauschen in den Talkshows würde für keinen Krimi ausreichen, doch konnte ein Politikerfahrener wissen, was daraus werden kann, wenn es öffentlich wird. Vielleicht deshalb die ersten Halbwahrheiten oder halben Unwahrheiten, in der Hoffnung, es abwenden zu können. Doch es wurde die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit gefordert vor dem Tribunal der Öffentlichkeit – mit dem Hinweis, dass sein Amts ihn dazu verpflichtet.

Der Bundespräsident versuchte es mit einem Jesus-Zitat

04.01.2012: In einem gemeinsamen Interview von ARD udn ZDF muss sich Bundespräsident Christian Wulff
04.01.2012: In einem gemeinsamen Interview von ARD und ZDF sagt Bundespräsident Christian Wulff:Wulff:
"Also wir müssen alle hohe Ansprüche haben in dem Wissen, dass wir alle fehlbar sind. Und natürlich denkt man viel jetzt über die Bibelstelle nach: Derjenige, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Und alle gingen bei dieser Steinigung. Weil allen klar wurde: Also Vorsicht, wenn Du mit einem Finger auf andere zeigst, zeigen andere auf Dich selbst. Insofern wird man auch lebensklüger. Uns heute kann ich Johannes Rau besser verstehen, als ich ihn damals verstanden habe." Foto: AREF, Screenshot vom ZDF

Irgendwann in seiner Bedrängnis zitierte er ein Jesuswort: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ - und traf damit, wahrscheinlich unbewusst, genau ins Schwarze - und doch daneben. Das Wort ist gerichtet an ein öffentliches Tribunal. Eine Ehebrecherin ist ertappt worden und das geltende Recht fordert: „Sie muss gesteinigt werden, öffentlich, von allen.“ Nun werden bei uns nicht Steine geworfen, doch das Rechtsempfinden berechtigt uns zu Vorwürfen, und damit werfen viele.

Eigentlich müsste der Beklagte sich in der Position der schuldigen Frau sehen – doch er setzt sich mit seinem Zitat in die Position Jesu, der als Richter gefragt wird, wie sein Urteil lautet. „Ja“ sagt er „das Gesetz gebietet die Steinigung. Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Damals ließen alle ihre Steine fallen und gingen davon. Sicher nicht, weil sie alle auch Ehebrecher waren, aber alle merkten, so unschuldig, dass wir den Schuldigen fertig machen dürfen, das sind wir nicht.

Gott sei Dank, ich brauche nicht zu richten, nicht über Ehebrecher und nicht über unseren Bundespräsidenten. Wenn ich es sollte, würde ich ähnlich urteilen, wie Jesus damals. Wer auch in Bedrängnis immer bei der vollen Wahrheit geblieben ist, der darf seine Vorwürfe verkünden – alle anderen dürfen sich die zur Steinigung bereite Menge als Vorbild nehmen und auf Vorwürfe vezichten. Wozu die Bild-Zeitung und alle beteiligten Medien gehören, brauche ich zum Glück nicht zu beurteilen.

Musik

Das Gesagte dürfte manchem zu tolerant sein – immerhin geht es um das höchste Amt im Staat, hoch über den Parteien und Parteiungen. In früheren Kulturen stand an dieser Stelle der Herrscher, der König von Gottes Gnaden, ja, nach noch früher dem göttlichen Kaiser.

Nichts dergleichen haben wir und nichts dergleichen wünschen wir uns zurück. Doch, wenn nicht über dem Bemühen (und dem Kampf) zwischen Regierung und Opposition das Wissen und die Absicht um das Wohl des Volkes steht, dem beide (und auch alle anderen) verpflichtet bleiben, dann scheitert die Demokratie. Diese Einheit zu symbolisieren, sie zu fordern und zu formulieren, dazu aufzurufen, das ist Amt des Bundespräsidenten. Es ist schon fast ein priesterliches Amt - und wie beim Priester, der das Heilige verwaltet, erwartet man auch hier eine völlig integre Person.

Nun sind weder im Tempel, noch im Vatikan, noch im Schloss Bellevue und schon gar nicht im Bundestag Heilige in Aktion - und doch kann eine heilige Ahnung auftauchen, wenn zum Beispiel Reich-Ranicki einen Tag seines Lebens und Überlebens im Warschauer Getto erzählt. In der Stille danach und in dem dann aufbrausenden Befall waren alle vereinigt.

Zum Amt des Bundespräsidenten gehört es, der Gemeinschaft des Volkes ähnliche, einende Erfahrungen und Erkenntnisse zu ermöglichen. Das setzt die Bereitschaft dazu in uns voraus - und das Vertrauen auf seiner Seite, dass wir dazu bereit sind. Beides wird durch die derzeitigen Verdächtigungen und Verurteilungen erheblich erschwert, ja, eigentlich unmöglich gemacht. Die Hoffnung, bei einem Rücktritt des jetzigen Präsidenten würde sich einer finden, der makellos ist, die dürfte sich kaum erfüllen.

Es lohnt sich, bei wichtigen Fragen, weit zurück zu schauen

Es lohnt sich schon, bei wichtigen Fragen und Problemen in die Bibel zu schauen – immerhin handelt sie von wichtigen Fragen und Problemen in der Menschheitsgeschichte, besonders wenn es um das Heilige geht. Da hatte der heilige Gott einen Bund geschlossen mit den Nachkommen Abrahams, die in Ägypten ein Volk wurden und nun auf den Zug durch die Wüste waren ins gelobte Land.

„Ihr seid ein heiliges Volk, ein königliches Priestertum“ so lautet der erste Satz in der Bundesurkunde. Umgeben, umgrenzt wird das Volk von einem Gesetz, einer heiligen Grenze, wir kennen sie als die zehn Gebote. Wer die übertritt, ist draußen - gehört nicht mehr zum heiligen Volk. Doch wenn das Einem geschehen ist, und er erkennt es, er anerkennt das Heilige aus dem er gefallen ist weiter als heilig - der darf umkehren, darf seine Schuld bekennen in einem Sündopfer – „und ihm wird vergeben!“

Ich weiß nicht, ob damals einer in dem Volk die Vergebung nicht brauchte – aber sicher hätte Gott ohne dieses Angebot kein Volk mehr, denn heilig war keiner. Ja ich zweifle, ob das Bravsein Heilige hervorbringt - die Geschichte des Volkes und die Geschichte der Kirche zeigt, dass die Vergebung heiligt. Voraussetzung ist „Erkennen und Bekennen der Schuld“.

Wahrscheinlich hört unser Bundespräsident jetzt nicht AREF, er wird den Beitrag wohl auch nicht im Internet lesen - wünschen würde ich ihm aber, und wohl wir alle, dass er die Verschuldung, in die er sich verstrickt hat, erkennt und dass er den Mut zum Bekennen findet. Ich glaube, dass die Bereitschaft zur Vergebung in dem öffentlichen Tribunal durchaus besteht. So oder so, dem Amt ist er es schuldig.

Musik

Gibt es eine Lösung?

Vom Bekennen hatten wir geredet, doch reißt die Serie der Enthüllungen gar nicht ab, so dass der Beschuldigte mit dem Bekennen fast nicht mehr nachkäme. Es sind Vorfälle in der Vergangenheit, die aufgedeckt werden – und dabei kommen hier und da ganz ähnliche Vorfälle ans Licht bei denen, die als Ankläger auftreten, nicht durch deren offenes Bekenntnis sondern durch Arbeit der Journalisten. Es könnte sein, dass die ihre Vorwürfe fallen lassen, wie damals die zur Steinigung der Ehebrecherin bereite Menge ihre Steine.

Wir haben Enthüllungen der Journalisten ja kaum zu fürchten, denn niemand lädt uns ein in teure Hotels, in luxuriöse Ferienwohnungen oder zu großen Urlaubsreisen– und für unsere kleinen Fehler und Vergehen, Unwahrheiten und Ausreden interessiert sich die Öffentlichkeit zum Glück nicht. Ob uns das berechtigt, in den Chor der Verurteilungen einzustimmen?

Jesus hat damals das Urteil durchaus bestätigt – Ehebruch ist eine Sünde auf die (damals!) die Todesstrafe stand - doch er verhindert die Verurteilung durch Menschen, die durchaus nicht unschuldig sind. Als alle weggegangen sind, blickt Jesus auf vom Boden, wo er im Sand geschrieben hatte. „Wo sind die alle? Hat dich niemand verdammt?“ „Niemand Herr“ antwortet sie. „So verdamme ich dich auch nicht, geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“

Noch einmal: Weder der Bundespräsident, der dieses Gleichnis zitiert hat, noch wir, wenn wir ihn als schuldig ansehen, sind in der Position des Richters. Mit seinem Urteil öffnet Jesus schon den Blick auf unser Verständnis von Strafe: „Gehe hin, und sündige hinfort nicht mehr“, das ist das Ziel des Strafvollzugs. In unserem Fall ist wohl genug gestraft, besonders, weil juristisch gesehen kein Verbrechen vorliegt und die Gefahr der Wiederholungstat kaum besteht.

Wenn wir eine Gesellschaft von Heiligen wären, dann sollten wir darauf bestehen, dass unser Präsident ein Heiliger ist – als Gemeinschaft begnadigter Sünder dürfen wir auch gnädig sein – was der Heiligkeit des Amtes keinen Abbruch tun würde – ihm eher einen menschlichen Glanz verleihen könnte.

Dr. Hans Frisch