Selber denken: Sieben Wochen ohne falsche Gewissheitgesendet am 9. März 2014 von Dr. Hans Frisch |
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Vor 31 Jahren hatten einige Journalisten und Theologen in Hamburg beschlossen:Wir fasten sieben Wochen von Aschermittwoch bis Ostern - und riefen in einer Kirchenzeitung auf zur Teilnahme. 70 Personen meldeten sich. Im nächsten Jahr waren es schon 300 und in diesem Jahr nehmen 3 Millionen teil an der Fastenaktion der evangelischen Kirche: Sieben Wochen ohne.
Ohne, Geiz, ohne Zaudern, ohne Scheu, ohne Ausreden, ohne falschen Ehrgeiz, ohne Vorsicht waren die Themen in den letzten Jahren - und diesmal: Selber denken: Sieben Wochen ohne falsche Gewissheit. Am Mittwoch war die närrische fünfte Jahreszeit vorbei - noch genügend Bedenkzeit, ob man sich auf Selber Denken einlassen will. Eins ist gewiss: der Verzicht auf falsche Gewissheiten wird schwierig, kompliziert und ist letztlich unmöglich, denn es ist ein unendlicher Prozess. Wir sind geneigt,
unser Gewissheit zu suchen in dem, was wissenschaftlich bewiesen ist. Schließlich
waren die Gesetze der Gravitation, bewiesen, die Planetenbahnen berechnet,
auch Magnetismus und Elektrizität erkannt und die Physik hatte eigentlich
alles erklärt. In die Gefilde der schwarzen Materie und dunklen Energie, der atomaren und der kosmischen Stringtheorien und der Multiversen wollen wir gar nicht hineinschauen hier verstehen wir sicher nichts und unsere grundlegenden Gewissheiten lösen sich auf in mathematische Formeln. Musik Es ist fantastisch, wie die Wissenschaft eine falsche Gewissheit nach der anderen beseitigt, seit Jahrtausenden und immer schneller. Schade, dass die Hoffnung auf eine endgültige Gewissheit dadurch nicht erfüllt wird, eher das Gegenteil. Jede Antwort gebiert neue, meist noch schwierigere Fragen. Die Erde ist eine
Kugel sagte Columbus und segelte nach Westen um den fernen Osten
zu erreichen. Seine Entdeckung brachte europäische Goldgier auf den
neuen Kontinent und den Untergang einer gewaltigen Kultur. Doch das alles sind
nicht die Themen für sieben Wochen ohne die lauten:
selber denken, selber suchen, selber reden,
selber handeln, sich selber prüfen, selber
bekennen, selber leuchten und das ohne
falsche Gewissheiten. Um selber zu denken
brauche ich die Gewissheit, dass ich denken kann, dass ich Wahrheit erkennen
kann, dass es sinnvoll ist. Doch jede Sicherheit erweist sich bei genauer
Prüfung als ungewiss - und wo ich den Zweifel nicht mehr zulasse,
wird meine Überzeugung, zu der ich gelangt bin, zur Ideologie. Selber suchen ohne falsche Gewissheiten ist das Thema der zweiten Woche. Da bleibt mir ja gar nichts anderes übrig, wenn ich selber denke und keine wirkliche Gewissheit finde - ich muss suchen. Ich bin umstellt von einem Jahrmarkt der Angebote, es ist fast wie in einem Dschungel, durch den ich mir einen Pfad schlagen muss mit der Machete meiner kritischen Vernunft. Das ist anstrengend, und irgendwann gehen wir doch mit auf ausgetretenen Pfaden und feiern mit bei allgemeinen Festen. Selber reden
können wir eigentlich nur, wenn wir uns gewiss geworden sind
doch reden wir mit anderen, die andere Gewissheiten haben - genauso sicher
wie wir die unseren. Bei einer Bundestagsdebatte können wir da zuschauen
- schier unglaublich, dass dies funktioniert seit Jahrzehnten (und in
der Ukraine konnten wir sehen, wie schlimm es wird, wenn es nicht funktioniert!) Natürlich muss
man sich immer wieder selber prüfen - aber bitte nicht zu streng. Musik Selber denken, suchen, reden, handeln, prüfen - ohne falsche Gewissheiten, das alles wäre möglich, wenn es sichere Gewissheiten gäbe. Dass Denken nicht zur endgültigen Gewissheit kommen kann, ist ein Prinzip der Wissenschaft, selbst wenn sie immer wieder falsche Gewissheiten überwindet und so den Raum der sicheren Erkenntnisse unglaublich ausgeweitet hat - bis zur sicheren Landung auf dem Mond, Sonden auf dem Mars und demnächst sogar auf einem Kometen. Die endgültige Gewissheit ist wissenschaftlich nicht zu erreichen. Beim Suchen wird die Unsicherheit schon deutlicher sichtbar - ich muss entscheiden, was ich suche und in welcher Richtung, mit dem Risiko, dass am Ende die Enttäuschung steht. Selber reden führt unweigerlich in Konfrontation mit anderen, die etwas anderes meinen und reden, (wenn wirklich Gespräch ist, nicht nur small talk). Doch ohne Gespräche werden die Gräben zwischen uns immer tiefer und breiter - auch das Handeln wird dann die Distanz und die Unterschiede vergrößern. Um uns selbst zu prüfen brauchen wir einen Maßstab, dessen Gültigkeit wir anerkennen - vor allem für uns, bevor wir andere damit messen. Damit kommen wir zum Bekennen. Wenn ich mich zu einem Maßstab bekenne, werde ich mit diesem gemessen, und das kann peinlich werden. Wir können es in den Medien immer wieder miterleben, nicht nur bei der Steuer und beim Doping.. Wenn die Christen
sich zu dem Maßstab der Bergpredigt bekennen, dann finden sie sicher
immer wieder Grund, auch ihr Versagen zu bekennen. Wir sind in der Passionszeit angekommen und denken nach über eine Fastenaktion der evangelischen Kirche. Ziel ist die Vorbereitung, die bewusste Einstellung auf Karfreitag und wenn die Aktion Sinn haben soll, muss sie von diesem Ziel, von diesem Punkt, von diesem Ereignis her betrachtet und beurteilt werden. Jesus ist dort in
einen qualvollen Tod gegangen - er behauptet für mich und Dich! Wenn ich bei dieser Prüfung durchfalle - vielleicht nicht ganz so schlimm wie Petrus, als er Jesus dreimal verleugnete - dann steht Jesus vor mir, voll Achtung vor meiner ehrlichen Absicht und der richtigen Erkenntnis meines Versagens, und fragt mich: Hast du mich lieb? Und selbst, wenn mein schwaches Bekenntnis nur lautet: Ich glaube, hilf meinem Unglauben - er nimmt es für ein volles Ja und nimmt mich voll Liebe an. Wer das erlebt, im Kern seines Selbst, da wo seine Angst und seine Hoffnung sitzt, da wo er seine tiefste Sehnsucht spürt, da wo er lieben will und Liebe braucht - dem wird es hell und der beginnt da selber zu leuchten. Eine Fastenaktion sieben Wochen ohne könnte uns helfen, etwas von dem allen, was diesen Kern unseres Selbst zuschüttet und verdunkelt, beiseite zu räumen, damit Licht und Luft hinein kommen. Dr. Hans Frisch |