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Mariä Verkündigung
gesendet am 2.12.2001 von Dr. Hans Frisch
 

Mariä Verkündigung

Wer in die Altstadt kommt, kann es nicht übersehen - Weihnachten naht, überall Lichter, Tannengrün, Sterne. Auch die Weihnachtsmusik versucht schon, die Geschäfte zu beleben. Es könnte ja sein, daß der eine oder die andere versucht, dem Rummel für eine Weile zu entkommen - die Tür der Lorenz Kirche steht meistens offen.
Ich möchte euch jetzt einladen, schaut doch mal mit uns rein in diese schöne berühmte Kirche. Da ist ein Kunstwerk, das uns in andere Weihnachtserwartung bringen kann. Die meisten werden es kennen, der "Englische Gruß" von Veit Stoß.
Vorne, oben im Chor Raum, da hängt der große Ring - eigentlich einen Rosen Kranz - drinnen groß und prächtig Maria und der Engel Gabriel. Wallende Gewänder, schön gelockte Haare, kleine Engel umschweben die beiden, oben drüber Gott Vater.
Wer die Geschichte kennt, die da in Holz geschnitzt ist, der weiß warum es der "Englische Gruß" heißt. "Gegrüßet seist Du Maria" - sagt der Engel zu Maria und kündigt ihr an, daß sie einen Sohn bekommen wird.
Auch die Diskussion um den fehlenden Vater ist dargestellt - "Der Geist des Höchsten wird dich überschatten" sagt der Engel - und als Taube ist der Geist schon über Marias Kopf.
Nun liegt diese Geschichte ja neun Monate vor Weihnachten, also im März, gefeiert als "Mariä Empfängnis" - doch gehört sie so eng zur Weihnachtsgeschichte, daß sie durchaus auch am ersten Advent als Thema paßt.
Da könnten wir über Engel nachdenken, über Marias besondere Beziehung zu Josef, über die Situation zur Zeit der Maria oder auch über den Künstler Veit Stoß - auch die Geschichte ist Kunstwerks wäre interessant. Aber ich möchte euch bitten, schaut mal genau hin. Von vorn, wenn ihr unter dem Engelsgruß steht.
Der Maria fällt etwas aus der Hand (keine Angst, es fällt schon seit fast 500 Jahren - ihr werdet ist nicht auf den Kopf bekommen). Es ist ein Buch, und da wollen wir einmal genauer hin schauen.
Wenn ihr euch erinnert an andere Bilder, die auch die Verkündigung darstellen, da sitzt oder kniet Maria meist am Lese Pult vor einem aufgeschlagenen Buch, oder sie hat ein solches in der Hand. Das Buch ist fast der Mittelpunkt der Bilder.
Praktisch alle Künstler im Mittelalter haben die Verkündigungsszene so dargestellt, es lohnt sich darüber nachzudenken.
Eine aufgeschlagenes Buch macht neugierig: "Was für ein Buch, welche Seite?"
Bei den Bildern von der Verkündigung des Engels an Maria können wir leicht erraten: Es ist das Alte Testament, und aufgeschlagen ist wohl die Verheißung des Propheten Jesaja: "Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel."
Auf manchen der alten Bilder kann man den Text sogar lesen.
Nun hatte die echte Maria sicher kein solches Buch, allenfalls hätte sie die Thora-Rolle in der Synagoge anschauen können - aber, ohne das Buch, ohne das Alte Testament hätte sie überhaupt nicht verstanden, wovon der Engel redet. Ich glaube, sie hatte das Buch in sich, was die Künstler ihr in die Hand gemalt haben.
Nach der Musik wollen wir uns die Geschichte mal anhören und darüber nachdenken.

* * *

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth,
zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.
Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!
Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?
Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.
Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben.
Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben,
und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?
Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.
Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei.
Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Das ist kurz und knapp.
Stellt euch vor, ein heutiger Romanschriftsteller hätte das erzählt, oder in Hollywood wäre es
verfilmt worden.
Aber hier: Der Engel grüßt, Maria erschrickt zunächst (natürlich!), dann die unglaubliche Botschaft, und als Marias Einwand: Ein Sohn ohne Vater, das gibt es nicht!" entkräftet ist: "Mir geschehe wie du gesagt hast, ich bin Gottes Magd."
Als Maria dann zu Elisabeth kommt und dort die Bestätigung erhält, für das was er gesagt hat, da kommt ein Lobgesang aus ihrer Seele - so stark und so schön, daß er durch die Jahrhunderte seinen Glanz nicht verloren hat
Marias Lobgesang
Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Seit dem Mittelalter haben fast alle Kirchenmusiker und manche andere Komponisten diesen Lobgesang - das "Magnifikat" - vertont. Es existiert auch in mehreren Gospel Versionen.
Wer im Internet "Magnifikat" sucht, findet über 600 Adressen - einige mit tiefschürfenden Auslegung des Textes - daran wollen wir uns nicht beteiligen. Etwas anderes ist in unserem Zusammenhang, in Verbindung zu dem Buch in den Bildern der Verkündigung wichtig: Wenn man den Text des Magnifikat untersucht, dann finden sich darin 30 Bezüge zum Alten Testament:
Lea, die Frau Jacobs jubelt, als ihr der erste Sohn geschenkt ist:"Der HERR hat angesehen mein Elend" und bei einem anderen Sohn: "mich werden seligpreisen die Töchter."
Hannah, die endlich einen Sohn bekommt, den späteren Propheten Samuel. singt ein Loblied, das wie eine Vorlage für Marias Lobgesang ist
Propheten haben verheißen, daß ein Gesalbter Nachkomme auf dem Thron Davids herrschen wird über ein unvergängliches Reich.
Diese Texte alle waren in Maria lebendig, gehörte sie doch zum Hause Davids, und nur deshalb konnte sie verstehen, was der Engel meinte mit seiner Verkündigung - und zu dieser ihr bekannten Verheißung sagte sie ja
Hätten moderne Theologen oder Kritiker des Glaubens ihr gesagt: "Jungfrauengeburt", "Gottessohnschaft", "Zeugung durch den Heiligen Geist" - Maria , das sind alte Mythen, die kannst du nicht so wörtlich nehmen" - Maria hätte gelacht und mit ihr die Gläubigen ihrer Zeit. Nichts anderes als was sie wußten und nichts anderes als die erwarteten, hatte der Engel angekündigt. Daß die Jungfrau schwanger ist und einem Sohn bekommt - das hatte Jesaja verheißen.
"Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt" - spricht Gott dem König Israels zu im 2.Psalm, dem Krönungspsalm.
Daß der Geist Gottes den Gesalbten zum König macht (und damit zu Gottes Sohn), das war Grundüberzeugung in Israel. Und auch, daß am Ende der Zeiten Gott einen Gesalbten, den "Meshiach", seinem Volk senden wird, der ein ewiges Reich aufrichten wird, das Reich Gottes. Und nicht nur Maria wartete voll Sehnsucht auf diesem Erlöser

Wenn wir von Sekten hören, die sich darauf einstellen, daß ein Raumschiff sie an einem bestimmten Termin von einen bestimmten Berg abholt, dann schütteln wir den Kopf: "Ein paar Spinner!" Es gab Zeiten, in denen Massen von der Erwartung des Weltendes angesteckt waren. Ähnlich war es zur Zeit unserer Geschichte. Da hatten visionäre Autoren Bücher geschrieben unter berühmtem Pseudonym - Daniel, Henoch, Noah - Bücher, die das anbrechende Gottesreich verkündeten und die Zeichen der Zeit als Beweis aufzeigten. Und diese Botschaften waren aktuell und verbreitet, die Zeichen der Zeit waren deutlich in jenen Tagen.

* * *

Heidnische Römer hatten das Land besetzt, überall in der heiligen Stadt Jerusalem waren ihre Trupps, selbst den Tempeldienst überwachten sie von der Burg neben dem Tempelhof. Die Steuern und Abgaben drückten. Wer Widerstand versuchte, starb am Kreuz.
Da glaubten viele, daß jetzt Gott den senden müßte, den die Propheten und die Visionäre verheißen hatten. Manche wollten es beschleunigen durch Überfälle auf die Römer - als Einzelne mit den Dolch oder als Gruppen - andere hatten sich zurückgezogen in ein frommes Klosterleben, um sich auf die Ankunft des Messias vorzubereiten - dann würden sie, die Söhne des Lichtes mit dem Messias gegen die Söhne er Finsternis kämpfen und siegen.
Inmitten dieser brodelnden Erwartung bekam Maria ihre Verheißung und ihre Gewißheit. Weil sie das Buch kannte, weil es in ihr lebendig war, wußte sie, was für einen Sohn sie erwartete.
Und sollte in den neun Monaten der Erwartung. die Gewißheit nachgelassen haben, sollten die Schwierigkeiten mit dem Kind dort im Stall von Bethlehem, die ganz normalen Mutterpflichten und Sorgen um ein ganz normales Kind das völlig überdecken - der Besuch von drei priesterlichen Gestalten aus Mesopotamien brachte es wieder ins Bewußtsein, und die Flucht nach Ägypten - aus berechtigter Angst vor ihm König Herodes - das Leben im Exil, hielten das Bewußtsein wach.
Und dann mußte etwas passieren, was vieles erklärt. Als der Sohn anfing zu fragen: "Warum sprechen wir nicht so wie die anderen Menschen?" Antwortet ihm die Mutter: "Weil wir aus Israel kommen." "Warum sind wir nicht dort geblieben?" "Weil der König dich töten wollte." "Warum wollte mich töten?" "Weil du der Messias bist." Sie hatte ja keine Ahnung von Psychologie und wußte nicht, was sie dem Kind damit einprägte. Das steht zwar nicht in den Evangelien, aber alle, deren Eltern oder Großeltern aus ihrer Heimat fliehen mußten, werden solche Gespräche kennen. In unserer Familie war es so.
Später lernte der Junge lesen und schreiben, mit dem Buch, das von ihm, dem Messias berichtet - und mit kindlicher Selbstverständlichkeit wußte er: "Das bin ich."

Von der Kindheit wird fast nichts berichtet in den Evangelien.
Die Rückkehr nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.
Und dann die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Er war mit zum Pilgerfest in Jerusalem. Am letzten Tag, als die Familie schon aufbrach zur Rückkehr, da geriet er in ein Gespräch mit den Schriftgelehrten im Tempel. Sie staunten über seine Bibelkenntnis, sein Erkenntnis von Beziehungen zwischen einzelnen Texten und über seine Deutungen. Sie konnten ja nicht wissen, welchen Zugang dieser Junge zu dem Buch bekommen hatte.
Die Familie merkt bald, daß der Junge nicht dabei ist Es geht die aufgeregte Suche los. Als die Mutter ihn findet, redet sie zu ihm wie eine Mutter da halt redet: "Aber Jesus, wie konntest du uns das antun?. Wir haben dich überall gesucht"
Da merkt der Junge, daß die Mutter seine Sendung, die sie ihm eingepflanzt hatte, vergessen hat. "Mutter, weißt DU nicht, daß sich in den sein muß, das meines Vaters ist?"
Jetzt ist er allein mit seiner Bestimmung, und es dauert noch fast 20 Jahre, bis er Johannes dem Täufer begegnet, der ihn erkennt als den von Gott Gesandten, und bis er in der Taufe die Stimme hört, die ihm die Worte des Krönungspsalms zu spricht: "Du bist mein lieber Sohn."
Jetzt beginnt sein Weg als Messias, und die Wunder, die Gott ihm schenkt, bestätigen ihm: "Der Vater ist mit mir."
Es wird Wirklichkeit, was das Buch von ihm gesagt hat - darum steht in den Berichten immer wieder: "Das geschah, damit erfüllt würde, was geschrieben ist."
Es dauert nicht lange, und er spürt und erkennt, daß auch die Prophetenworte vom leidenden Gottesknecht, der für die Sünden zur Erlösung seines Volkes stirbt, unabwendbare Wirklichkeit werden.
Bis zuletzt hätte er die Möglichkeit, aufzuhören, auszusteigen - doch in einem schweren Kampf, dort im Garten Gethsemane sagt er JA zu diesem Weg ans Kreuz.

Dort in der Lorenz Kirche, wenn ihr unter dem englischen Gruß steht, geht weiter nach vorn.. Dann steht ihr unter dem Kruzifix, daß auch Veit Stoß geschnitzt hat. Zwischen beiden Ereignissen - der Verkündigung und der Kreuzigung - liegt das Leben des Mannes, dessen Geburt wir zu Weihnachten gedenken, des Menschen, der die Weltgeschichte verändert hat und noch verändert, mehr als sonst irgendeiner.
Daß er wirklich der von Gott gesandte Erlöser ist, das konnten die Menschen, auch seine Mutter Maria, erst begreifen nach der Auferstehung. Auch wir werden es nicht begreifen, wenn wir nicht den zu Weinachten geborenen als den erkennen, der für uns dort am Kreuz gestorben ist.