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Eine Schöpfungslegende
gesendet am 04.08.02 von Dr. Hans Frisch
 

Mit der Bibel haben wir uns bei unseren Sendungen schon oft beschäftigt - heute will ich eine Legende erzählen, eine jüdische Schöpfungslegende. Den biblischen Schöpfungsbericht kennt fast jeder - mehr oder weniger. Diese Legende steht nicht in der Bibel, sie stammt wohl aus dem chassidischen Judentum im Osten.

Gott war von Ewigkeit zu Ewigkeit, alles was er dachte geschah, alles was er wollte war da. Eines Tages, wenn man von der Ewigkeit so reden darf, hatte Gott die Absicht, den Wunsch, das Ziel: Ich will gesucht, gefunden und geliebt werden.

Im Himmel war große Erregung. Die Geistwesen um Gott wussten sofort von dieser Absicht. Einer der größten Erzengel rief: "Das sei ferne, du bist alles in allem, nichts darf unabhängig von dir sein!" Denn, wer Gott sucht, kann es auch lassen. Wer Gott finden soll, kann ihn auch ignorieren. Wer Gott lieben soll, kann ihn auch verachten.

Michael, der gewaltigste Erzengel kämpfte gegen diesen Engel, besiegte ihn und warf ihn auf die Erde (die es noch gar nicht gab, aber in einer Legende spielt das keine Rolle). Gott schuf den Adam kadmon, und gab ihn frei. Es dehnte sich eine Schale, sie zersprang, die nächste Schale dehnte sich und zersprang und immer weiter. Ganz am Ende dieser sich ausbreitenden Welle, wo sie rückläufig werden kann, dort ist der Ort des Menschen. Der Mensch kann Gott suchen, finden und lieben.

Wo der Mensch die Bruchstücke der Schalen zusammenfügt zur Einheit, da ist die "Einwohnung Gottes in der Welt", die "Schechina". Die Legende endet: Henoch war ein Schuhmacher. Er lebte noch vor Noah und vor der Sintflut. Jeder Stich seiner Nadel, mit der Henoch Oberleder und Sohle verband, brachte die Schechina in die Welt.

Schon sehr lange begleitet uns diese Legende, immer wieder fällt sie uns ein beim Nachdenken über Gott, die Welt und den Menschen. Wir wissen, die Welt ist entstanden aus einem Urknall. Vor 15 Milliarden Jahren fing alles an mit - ja womit denn? Irgendwo - nicht im Raum, irgendwann - nicht in der Zeit, denn Raum und Zeit gab es erst danach - geschah die unvorstellbare Explosion. Aus einem Punkt, wirklich klein wie ein Punkt, entfaltete sich die gesamte Energie des Kosmos die in allen Sternen und in aller Materie steckt. Seitdem expandiert der Kosmos. Erst in kürzeren Intervallen von Sekundenbruchteilen, dann in immer länger werdenden Intervallen wurden aus der Ursprungsenergie Elementarteilchen, Gaswolken, Sterne, Planeten, Leben und schließlich Menschen, die in die Welt schauen und sich fragen: "Wo kommen wir her?" "Wo gehen wir hin?" "Was sollen wir tun?"
Es ist schon erstaunlich, wie die alte Legende mit den Schalen, die sich entfalten, dann von neuen Schalen abgelöst werden bis zum Auftreten des Menschen, wie diese Legende dem entspricht, was die Wissenschaft in unserer Zeit erkennt.

(Musik)

Da wo der Mensch die Bruchstücke der Schalen zusammen fügt, da ist die Schechina, die Einwohnung Gottes in der Welt.
Wir können wohl kaum spüren, was die frommen chassidischen Juden bei dem Begriff Schechina empfanden - Glück, Frieden, Begeisterung, kurz Gottes Anwesenheit im Leben. Vielleicht können wir uns aber dem annähern.

Ich habe den Verdacht, dass der Brauch, am Polterabend Geschirr zu zerschlagen, hier den Ursprung hat: wo Mann und Frau zusammenkommen, wo aus zweien eins wird, da ist die Schechina. Die Scherben der zerbrochenen Schalen könnten die Aufforderung sein: Fügt das immer wieder zusammen, was getrennt ist, was auseinander geht - dann ist Gott dabei.
Henoch war ein Schuhmacher - erzählt die Legende - und jeder Stich seiner Nadel, die Oberleder und Sohle verband, brachte die Schechina in die Welt.

Nun bin ich kein Schuhmacher, aber als in der Praxis wieder einmal alles auseinander ging - die alte Karteikarte fehlte, das Diktat war gelöscht, die Röntgenbilder waren falsch beschriftet - als ich versuchte alles wieder zusammenzubringen, da fiel mir Henoch ein. "Das ist Gottesdienst, was du hier machst". Plötzlich war da Ruhe und Gelassenheit. Da gibt es wohl in jedem Beruf und in jeder Lebenssituation, besonders in jeder Beziehung und in jeder Familie genug Gelegenheit, Bruchstücke zusammen zubringen.
So blieb die Legende für mich, für uns lebendig. Meine Frau will immer wieder, daß ich sie erzähle - und jetzt hört sie bestimmt zu und freut sich.

Es ist schon hilfreich und tröstend, mitten im Alltagsleben zu wissen: "Jetzt ist Gott dabei." Doch ist das Kaliber der Geschichte noch viel größer. Der Schöpfungsbericht in der Bibel erzählt, wie Gott die Welt, die Pflanzen und Tiere, den Menschen geschaffen hat - die Legende sucht Antwort auf die Frage: Warum hat Gott die Welt erschaffen? Und die Antwort ist gewaltig: Ich will gesucht, gefunden und geliebt werden, das ist Gottes Ziel, sein Wunsch, seine Absicht, und deshalb hat er die Welt geschaffen mit den Menschen darinnen. Denn nur der Mensch kann das, was Gott sich wünscht, worauf er hofft.

Meinst du, so darf man von Gott nicht reden? Dann verstehst du vielleicht die Aufregung im Himmel, als die gewaltigen Geistwesen die wir Erzengel nennen, als die Gottes Absicht erkannten. Nach der Musik wollen wir versuchen davon etwas zu verstehen.

(Musik)

Michael kämpfte gegen den Engel, der Gott widersprach. Er besiegte ihn und warf ihn auf die Erde.
"Luzifer", "Lichtbringer" wird dieser gefallene Engel genannt. Bekannter ist er als "Satan".
Was war der Anlaß zu dem Krieg im Himmel? Luzifer wollte die absolute Heiligkeit Gottes verteidigen, denn was ist das für ein Gott, der auf die Zuwendung, auf die Liebe von Geschöpfen wartet, die frei sind, ihn vergeblich warten zu lassen?
Michael - "wer ist wie Gott" heißt sein Name - Michael kämpfte für die absolute Freiheit Gottes, und damit für die Freiheit des Menschen: Denn Liebe kann nur in Freiheit entstehen und geschehen, Liebe zwischen Menschen und die Liebe von Mensch zu Gott.

Das ist die große Erkenntnis hinter dieser Legende. Warum Gott die Absicht hatte, geliebt zu werden, danach fragt die Geschichte so wenig, wie Menschen, die in Liebe fallen nach dem "Warum" fragen.
"Eine Himmelsmacht", "ein göttlicher Pfeil, der mich trifft", "ein Feuer das mich verzehrt" - und was der Bilder mehr sind, um das Unbegreifliche zu benennen. "Ich will geliebt werden" sagt Gott. Das ist der Grund für die Schöpfung, deshalb sind wir in der Welt.
"Gott, du bist blamiert, wenn ein Geschöpf dich ignoriert, dich auslacht oder dich verachtet" - so mag Luzifer gerufen haben. Dazu brauchte er keine Romane gelesen oder Filme gesehen zu haben. Aber Gott, der Herr der Himmel und der Herr über alle Geister, er ließ sich nicht abhalten. Er schuf den Adam kadmon, eine Wirklichkeit, die nicht Gott ist, und gab sie frei zur Entstehung der Welt und zum Auftreten des Menschen in der Welt.

Es wird nicht berichtet, ob Michael und Luzifer gewettet haben auf den Ausgang des Experiments - doch seit jeher gilt Michael als der Seelenführer des Menschen, der glaubt, daß Gottes Wunsch und seine Hoffnung erfüllt werden, daß der Mensch in Freiheit Gott sucht, findet und liebt.

Der gefallene Engel hat seine Kraft nicht verloren, und mit aller Kraft wird er versuchen zu beweisen: "Das war falsch, ein Wesen mit Freiheit gegenüber Gott zu schaffen". Und manchmal will es scheinen: Er hat recht!

Das einleuchtende Argument: "Wenn Gott allmächtig ist, wie kann er das alles zulassen - Krieg, Verbrechen, Grausamkeit?" Das könnte Satan Gott gegenüber gebrauchen: "Sieh, was du angerichtet hast mit deiner Schöpfung - ich hatte nicht gewarnt!"
Und den Menschen würde er am liebsten eine Brille aufsetzen, durch die nur diese Argumente zu sehen sind. Die Filter in den Medien lassen auch vorwiegend entsprechende Nachrichten durch.

Wer mit offenen Augen schaut, der sieht aber auch die unendliche Menge an Hilfsbereitschaft, an Bemühen um Verstehen, an Suche nach Wahrheit, an Liebe. Das alles ist nur in der Welt, weil der Mensch frei ist, frei zum Guten und zum Bösen. Und diese Freiheit ist so wichtig, daß Michael, der gewaltigste der Erzengel dafür kämpfte, und sie ist so gefährlich, daß ein gewaltiger Engel ihr widersprach.

Das erzählt die jüdische Schöpfungslegende.
Nun sind wir kein jüdisches AREF-Team sondern ein christliches.
Hat diese Geschichte auch Christen etwas zu sagen, daß soll unsere Frage nach der Musik sein.

(Musik)

Evangelium - "frohe Botschaft", heißt der Bericht von Jesus. Im Evangelium gibt es eine Stelle bei Lukas, die wird als Evangelium im Evangelium bezeichnet. Da beschimpfen die ganz Frommen und die ganz Gerechten Jesus, weil er mit den Sündern Gemeinschaft hat, er antwortet mit drei Gleichnissen. Von einem verlorenen Schaf, von einem verlorenen Groschen und von einem verlorenen Sohn. Eigentlich sind das aber Gleichnisse vom Suchen und Finden, von Verlorensein und Gerettetwerden. Denn der Hirte sucht das verirrte Schaf bis er es findet, es auf seine Schultern nimmt und zur Herde trägt. Die Frau sucht den Groschen im ganzen Haus - und als sie ihn findet, erzählt sie allen Nachbarn von ihrer Freude.

Der Vater hatte dem jüngeren von seinen beiden Söhnen das Erbteil ausbezahlt, als dieser es forderte - und ließ ihn ziehen. Als der alles verpraßt hatte und bei den Schweinen gelandet war, da besann er sich und kehrte zum Vater zurück. Der hatte die ganze Zeit darauf gehofft und gewartet, lief ihm entgegen, umarmte ihn, ehe er sein Schuldbekenntnis beenden konnte, und richtete ein Freudenfest aus.

Das ist die frohe Botschaft: Gott sucht euch, Gott geht euch nach, Gott der Vater wartet auf euch, und ich, Jesus, bin der Weg zu dem Vater. Alles was euch hindert, alles was euch trennt: Eure Schuld, euer Versagen, eure Zweifel, eure Untreue - ich stehe dafür ein, daß der Vater euch mit offenen Armen empfängt, denn ich habe mich selbst dafür hingegeben.

Gott will gesucht werden, er hat dich gesucht.
Gott will gefunden werden, er hat dich gefunden.
Gott will geliebt werden, er liebt dich.

Deine Freiheit behältst du. Du kannst dich abwenden, du kannst es ignorieren, du kannst es verspotten - aber du hast keine Ausrede. Denn einfacher, klarer und besser als in Jesus Christus kann Gott seine Liebe nicht erklären. Näher kann er dir nicht kommen, geduldiger kann er nicht auf dich warten - er müßte denn deine Freiheit anrühren. Doch das wird er nie tun, denn unsere Freiheit ist eine so gewaltige Sache, daß darum im Himmel ein Krieg geführt wurde.
Wenn du sehen willst, wie sehr Gott dich liebt, dann schau hin, was Jesus um dieser Liebe willen in Freiheit durchlitten hat.
Eine andere Antwort wirst du nicht finden, eine bessere ist nicht vorstellbar.

Dr. Hans Frisch