Was sind eigentlich "christliche Werte"?gesendet am 13.03.2011 von Dr. Hans Frisch |
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Wir sind wieder in der Fastenzeit - die Katholischen seit Aschermittwoch, für
die Evangelischen wurde die Fastenaktion heute um halb zehn eröffnet, in
der Hamburger Christuskirche. Vielleicht hat es mancher im ZDF miterlebt. Ich
nehme die Übertragung auf und schau sie mir nachher an.
"Sieben Wochen ohne" - ist die Devise, in diesem Jahr: "ohne Ausreden". Das habe ich aus dem evangelischen Magazin Chrismon, es liegt der FAZ bei. Eine schöne Geschichte steht da drinnen: Der Erzähler kommt zu seinem Auto vor dem Supermarkt. Da erwartet ihn ein junger Mann. "Ich habe ihren Seitenspiegel beschädigt" sagt er "hier ist meine Karte, schicken Sie mir die Rechnung". "Der Schaden ist minimal, das lasse ich so - es kostet nichts!" ist die Antwort. Der junge Mann lädt ihn zu einem Kaffee ein, es wird ein nettes Gespräch. Dabei vergisst der Erzähler, auf dem Heimweg in der Reinigung etwas abzuholen. Doch er verkneift sich eine Ausrede. Seine Frau ist von seiner Ehrlichkeit überrascht und freut sich über die Geschichte. Es folgt eine ganze Kaskade von guten Ereignissen, die von der Ehrlichkeit des jungen Mannes ausgelöst wurde.
"Ohne Ausreden" ist eigentlich ein gutes Rezept, nicht nur für
sieben Wochen. Man könnte die Art Ehrlichkeit dem zuordnen, was "christliche
Werte" genannt wird - und das wollte ich als Thema für die heutige
Sendung nehmen. Deshalb hatte ich das evangelische Magazin noch einmal aufgeschlagen.
Ich fand nicht viel zu dem Thema, nur Äußerungen des evangelischen
Landesbischofs Friedrich zur Ethik, in einem Gespräch über Präimplantationsdiagnostik.
Wesentlich mehr über christliche Werte ist im Bericht über einen "Kongress
christlicher Führungskräfte" zu finden. Mehr als 3.000 Besucher
waren Ende Februar dazu nach Nürnberg gekommen - die Sebalduskirche war
voll bei der Eröffnung.
Das Hauptreferat sollte Minister zu Guttenberg halten, doch er fand Ausreden - die klangen recht edel. Es wäre ihm wohl schwer gefallen, über die Aussagen der "Nürnberger Erklärung" zu sprechen: "Wir bemühen uns, nach den Maßstäben Gottes zu leben, wie sie sich beispielhaft in den Zehn Geboten finden."
"Wirtschaftliches Handeln braucht christliche Werte, mit denen man in Führung gehen kann." Um Integrität, Ehrlichkeit, Fleiß, Verlässlichkeit, Barmherzigkeit und Fairness in allen Bereichen des Lebens geht es. Korruption, Betrug, unfaire Löhne, überzogene Gehälter und Abfindungen, ebenso Habsucht, Neid, Geiz üble Nachrede wird abgelehnt.
Zum Schluss sollen die Mitmenschen "zu einem Leben in Verbindung mit Jesus Christus ermutigt werden." Wirklich, gute Werte und gute Vorsätze! Und sicher hat Gott nichts gegen solche Maßstäbe einzuwenden. Tatsächlich kann man sie in den Zehn Geboten finden, doch auch in anderen Schriften und Lebensprogrammen. Wer sie als "christliche Werte" beansprucht, verletzt eigentlich das Urheberrecht - denn die Zehn Gebote sind jüdisch, wie das ganze mosaische Gesetz - (was ihre Einhaltung auch für Christen, Moslems, Sozialisten und Atheisten nicht verbietet).
Musik
Wären "Werte" wie Integrität, Ehrlichkeit, Fleiß, Verlässlichkeit, Barmherzigkeit und Fairness speziell christlich, würden sie einen Menschen, der danach lebt, ja zum Christen machen. Doch, Gott sei Dank, gibt es diese Tugenden nicht nur unter Christen (eher könnte man sagen, es gibt sie auch unter Christen). Ja, auch Christen sollen anständige und nach Möglichkeit sogar gute Menschen sein - so wie auch Juden und die anderen.
Doch Ziel des Gesetzes, dessen Zentrum die Zehn Gebote sind, ist etwas anderes - und es lohnt sich, da genau hinzuschauen. Über dem deutschen Grundgesetz steht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Deshalb sind alle Regeln und Gesetze, auch alle Deutungen, die dem widersprechen, ungültig. Über der Bundesurkunde vom Sinai steht Gottes Aussage: "Ich bin heilig - und ihr sollt heilig sein. Ihr seid ein heiliges Volk." Daraus folgt: Ein Mensch, der heilig ist, der mordet nicht, er leistet keinen Meineid, er bricht nicht die Ehe, er neidet seinem Nachbarn nicht dessen Wohlstand und Glück.
Wer die Grenze übertritt, ist nicht mehr heilig. Er ist aus dem heiligen Volk herausgefallen (oder herausgetreten), er hat den Bund mit dem heiligen Gott gebrochen. Da ist kein Platz für Ethik oder Moral - für Werte, die möglichst verbindlich gelebt werden, auch kein Platz für Ausreden. Ja oder nein, drinnen oder draußen! Du hast recht, das ist unmöglich. Bald wird keiner mehr drinnen sein.
Doch es gibt eine Möglichkeit, einen Weg zurück in den Bund, in die
heilige Gemeinschaft mit Gott. Wer "inne wird", dass er draußen
ist, besser vielleicht: wenn jemand erkennt, dass die Grenze überschritten
ist - und er "das Heilige", "den Heiligen" doch als heilig
anerkennt - dann kann er zurück kommen, umkehren. "Buße tun"
ist der Fachausdruck dafür.
Mit einem Tier aus seiner Herde kommt er an die Grenze des Heiligtums - damals
des Tempels - und er schlachtet das Tier als Opfer - nicht als Preis, sondern
als endgültiges Zeichen. Der Priester streicht dann etwas von dem Blut
an den Altar und: "Ihm wird vergeben!" Er gehört wieder dazu,
zum heiligen Volk.
Nicht das Opfer bringt Vergebung, der Opfernde ist an dem Ort und in der Haltung,
wo er Vergebung erleben kann, so dass sie ihn verändert. Wer in dieser
Haltung seine Schuld vor Gott bringt, der erlebt Vergebung - auch ohne Opfer.
Denn um das geht es: Vergebene Schuld heilt die Beziehung und macht sie reifer,
fester, heiliger - nicht nur zwischen Mensch und Gott, auch zwischen Mensch
und Mensch.
Musik
Musik
Wir haben gesehen, dass so genannte "christliche Werte", wenn sie
religiös begründet werden - jüdische Werte sind. Sie wurden nicht
damals entdeckt, als das Gesetz gegeben wurde - bei allen Völkern in der
Umgebung waren Mord, Meineid, Ehebruch und Diebstahl verboten. Neu war die Begründung
in der Heiligkeit Gottes und in dem heiligen Bund. Damit war jedes Tricksen
und jede Ausrede ausgeschlossen. Doch, weil Heiligkeit nur in Freiheit gelebt
werden kann, und ein Leben in Freiheit nie unschuldig bleibt, ist dieses Gesetz
und so ein Bund unmöglich, ohne das Angebot der Vergebung - durch die Heilung
und Reifung der Beziehung geschieht.
Die Geschichte dieses Bundes war dramatisch, Gott hatte sich das Volk nicht
ausgesucht, weil es so gut ist, sondern aus Liebe - denn sie sind "Kinder
Abrahams."
Kennt ihr das auch? Die große heilige Liebe eures Lebens hat im Lauf der Jahre, unter den Belastungen und Prüfungen ihren Glanz verloren. Für unseren Anteil daran haben wir Ausreden (die wir selber glauben). Es gibt Situationen, so schlimm, dass wir nie geglaubt hätten, das könnte uns passieren - und wir haben Sehnsucht, nach dem Glanz des Anfangs (der in glücklichen Momenten, Gott sei Dank, auch immer wieder aufleuchtet).
So ging es auch in diesem Bund Gottes mit seinem Volk. Propheten hielten die Sehnsucht und Hoffnung wach, und sie sprachen in aussichtslose Situationen hinein: "Tröstet, tröstet mein Volk. Sagt ihm, dass seine Schuld vergeben ist. Ein neuer Bund wird kommen, der mit der Vergebung beginnt."
Dieser neue Bund ist Wirklichkeit geworden, durch Jesus Christus - das ist die Botschaft des Neuen Testaments, und die Lebenserfahrung von Milliarden Menschen seitdem. Wie das Sündopfer im Alten Testament die Gewissheit der Vergebung schenkte, so schenkt das Opfer Jesu am Kreuz die Gewissheit, dass keine Schuld uns von Gott trennt, sondern vergebene Schuld uns mit Gott verbindet - erkannte oder verborgene Schuld. "Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3, 16) Das heißt: In Seiner Liebe leben.
Das klingt nun viel leichter, als das Bemühen, nach "Gottes Maßstäben" zu leben mit "christlichen Werten". Ja, es ist leichter, anderen zu vergeben, wenn mir vergeben wurde (und dem anderen von Gott schon vergeben ist, selbst wenn er es noch nicht weiß); es ist leichter, Opfer für andere zu bringen, wenn ich das Opfer ermesse, dass für mich gebracht wurde; wie sollte ich nicht geduldig sein, wenn Gott so viel Geduld mit mir hatte und hat.
Wenn wir realisieren, wie reich wir beschenkt sind in Jesus Christus, dann müssten wir in den sieben Wochen der Passionszeit Ausreden suchen, warum wir nicht verschwenderisch mit diesen Reichtum leben.
Vielleicht weil wir nicht genau hinschauen und es nicht zum Thema unserer Gespräche
machen.
Gut, dass wir uns noch sieben Wochen vorbereiten können auf Karfreitag
- dann sind wir wieder auf Sendung.