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Du hast die Wahl

gesendet am 22.09.2013 von Dr. Hans Frisch
 

 

Du hast die Wahl! Du willst, dass alle durch ihre Arbeit genug zum Leben verdienen? – Dann wähle die SPD, sie hat einen Mindestlohn von 8,50 € im Programm, oder, noch besser die Linke, mit 10 Euro. Du willst, dass die deutsche Wirtschaft leistungsfähig und im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig ist? Dann wähle FDP - denn dieses Ziel steht bei ihr weit oben. Du willst Rücksicht auf Natur und Umweltschutz und willst die Energiewende fördern? - Dann wähle die Grünen.

Bei dir stehen ganz andere Wünsche, Hoffnungen und Notwendigkeiten an erster Stelle? – Unter den 34 Parteien, die zur Wahl stehen, findest du wahrscheinlich die passende. Deine Stimme ist wichtig, auch wenn sie kein Gewicht hat.

Angesichts der 60 Millionen Wahlberechtigten ist es so viel wie ein Tropfen auf 2.000 l Wasser. Weil aber fast 30 % nicht wählen immerhin ein Tropfen auf 1.500 l (denn du gehörst ja zu den 44 Millionen Wählern).

Doch nur, wenn du und alle, die dein wichtigstes Anliegen teilen, ihre Stimme der Partei geben, die es vertritt - dann besteht die Chance, dass diese Partei ins Parlament kommt und euer Anliegen dort artikuliert. Wahrscheinlich kann sie es nicht durchsetzen - doch es ist präsent. Je mehr die Partei gewählt haben, umso mehr Abgeordnete vertreten euer Anliegen und umso mehr hat es Einfluss auf den Kurs der Regierung.
Kaum eine Gruppe kann das Steuer einfach herumreißen - das gäbe wohl einen schlimmen Zickzackkurs - doch das ziemliche Zickzack der Regierungspolitik zeigt, dass die Anliegen, die Warnungen, die Kritik der anderen Wirkung haben - je mehr sie vertreten, umso stärker.
Die Möglichkeit, dass der Kapitän das Ziel fest im Auge hat und geraden Kurses darauf zu fährt, die wird dadurch zunichte gemacht - doch, die Gefahr, dass der Kapitän stur einen falschen Kurs einhält, wird deutlich geringer, auch dank deiner Stimme.
Eine „Partei der Nichtwähler“ gibt es auch - du kannst sie wählen - und irgendwie gehörst du dann zu der stärksten Fraktion (denn das wären immerhin 40 %, bezogen auf die abgegebenen Stimmen). Sie behauptet, 18 Millionen Nichtwähler zu vertreten - also auch die, welche sie nicht gewählt haben. Das wären fast halb so viele wie zur Wahl gegangen sind.
Das gemeinsame Anliegen der Nichtwähler dürfte schwer zu bestimmen sein und deshalb kaum zu artikulieren im Parlament, falls die gewählten Vertreter der Partei der Nichtwähler die Fünf-Prozent-Hürde erreichen. Sie könnten allenfalls das ganze System infrage stellen und ein ganz neues verlangen. Dafür müssten sie aber wohl die absolute Mehrheit haben - die Gefahr besteht kaum.

Musik

Wahrscheinlich habt ihr gemerkt, dass ich von Wahlen nicht allzu viel Ahnung habe. Ausführlich waren die Informationen in der Presse, im Fernsehen und im Internet – also, Ihr wisst Bescheid!
Doch das mit dem einen Tropfen auf 2000 l oder 1500 l Wasser, das stimmt. So gering ist das Gewicht des Einzelnen, so gering ist dein Gewicht in der Masse. Und da ist kein Unterschied zwischen dir und mir, zwischen Hilfsarbeiter und Bankdirektor, zwischen Rentnerin und Kanzlerin.
Das ist die gewaltige Errungenschaft der Demokratie - und jeder Angriff auf die Demokratie erfolgt an diesem Punkt.

Jeder Liter Wasser beinhaltet 30.000 Tropfen. Nur weil Billionen und Aberbillionen Regentropfen auf die Erde fallen, haben Quellen, Bäche und Flüsse Wasser, wachsen Pflanzen, leben Tiere und Menschen.
Nur weil 60 Millionen Menschen ihre Stimme abgeben können, sind im Parlament Debatten möglich über die verschiedenen Anliegen, Bedürfnisse, Ärgernisse, Fehler und Ziele - auch die deinen, und die Mehrheit entscheidet.
Das garantiert nicht die besten Lösungen, aber es ermöglicht den Frieden, ohne den die beste Lösung nie erreicht wird. Auch fast 70 Jahre Frieden in Europa - Frieden und Freundschaft zwischen „Erbfeinden“0 sind eine Frucht davon.

Vier Jahre dürfen die Wahlsieger ihre Ziele verfolgen und ihre Wahlversprechen einlösen, unter der kritischen Beobachtung durch die Opposition - und sie können sicher sein, kein Fehler und kein gebrochenes Versprechen bleibt unbemerkt oder wird vergessen. Es wird im nächsten Wahlkampf präsentiert!
So werden manche mutigen Entscheidungen verhindert - aber auch waghalsige Experimente.
Es ist ein geniales Spiel der Kräfte - und du bist daran beteiligt mit deiner Stimme.

Im Wahllokal wirst du schon erwartet - dein Name steht in einer Liste, und nur du bekommst deinen Wahlschein. Völlig frei und unbeobachtet kannst du dein Kreuz machen bei den Kandidaten deiner Wahl - und persönlich wirfst du den Wahlzettel in die Urne.
Das wirkt alles selbstverständlich, doch es war ein weiter Weg bis hierher.

Musik

Das mit den Listen begann vor 2000 Jahren, ja noch früher – wir sind im Jahr 2013 nach Christi Geburt.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste.
So beginnt die Weihnachtsgeschichte.
Da wurden Listen angelegt, Steuerlisten, im ganzen römischen Reich vom Euphrat bis zum Atlantik und vom Nil bis zur Nordsee.

Kaiser Octavian war erhöht worden zu „Augustus“, dem „Erhabenen“, dem göttlich „Erhöhten“ - und diesen Titel trugen seitdem die Cäsaren. Auch die Steuerlisten wurden weitergeführt.
Zum römischen Reich gehörten schließlich 40 Völker mit verschiedenen Religionen - alle mussten schwören auf den göttlichen Kaiser. Etwas Weihrauch in die Glut werfen und bekennen: „Cäsar ist Herr“ - dann bekam der Name auf der Liste ein Kreuz und der Opfernde ein Testat.
Wer sich weigerte galt als Feind, und wurde getötet.
Christen weigerten sich - denn „Christus ist der Herr“ bekennen sie, und viele starben als Märtyrer.
Doch immer mehr bekannten Christus. Selbst die Mutter von Kaiser Konstantin war Christ geworden.
Es wird erzählt, die Vision eines Kreuzes als Siegeszeichen war Ursache für Konstantins Bekehrung. Wahrscheinlich war es aber mehr die Erkenntnis, dass der Christenglaube ein besseres Band zur Einigung seines Reiches sein könnte als das Kaiser-Opfer - denn die Listen dieser Opfer kamen ja nach Rom und zeigten die Zunahme der Christenim römischen Reich. Das reichte jetzt schon bis zur schottischen Grenze.
So wurde die Weiche der Geschichte gestellt Richtung „christliches Abendland“.

Es dauerte noch lange, bis zu den Listen bei unseren demokratischen Wahlen - doch diese Entwicklung ist eine „abendländische“, auch wenn der christliche Anteil daran immer weniger sichtbar wird. Es lohnt sich aber, danach zu suchen.

Deine Stimme und auch meine Stimme - jede Stimme bei der Wahl - hat das Gewicht eines Tropfens auf 2000 l Wasser - und doch ist jeder von uns unendlich wichtig. Nach welchem Maßstab?
Vor 2000 Jahren galten die Bürger Roms viel mehr als die Menschen in den besetzten Ländern - und der Wert eines Sklaven wurde an seinem Kaufpreis gemessen.
Dann tauchten Gemeinschaften auf, in denen Nationalität, Besitz, soziale Stellung, Bildung keine Bedeutung hatten - alle feierten ein heiliges Mahl - der Herr mit den Sklaven, der Reiche mit dem Bettler, denn alle bekannten: „Christus ist der Herr“.
Nicht weil dieser Christus sie beherrschte oder besiegt hatte, sondern weil er sie liebte - jeden Einzelnen völlig gleich und absolut. So sehr, dass er sein Leben hingegeben hatte für diese Liebe - und darinnen offenbart sich Gottes Liebe zu jedem Einzelnen.
Er hat sein Kreuz gemacht bei deinem Namen, bei meinem und bei allen.
Schon damals erlebten die Menschen: Wirklich wertvoll bin ich nur, wenn ich geliebt werde - ich bin wertvoll, weil ich geliebt bin.
Der Sklave wusste: „Ich bin Gott genauso wichtig wie mein Herr - selbst wenn der es noch nicht erkannt hat.“ Der Herr konnte erkennen: „Mein Sklave ist mein Bruder, auch wenn er weiter für mich arbeitet.
Vor Gott sind wir alle gleich - wir sind seine geliebten Kinder in Christus.“

Das klingt zu schön, um wahr zu sein - und bald begann auch der Missbrauch und die Entartung. Aber die Botschaft blieb erhalten und erreichte immer wieder die Einzelnen, gab Ihnen Selbstbewusstsein und Würde.
Hier und da gab es einen neuen Aufbruch, Befreiung von geistiger und geistlicher Bevormundung und Unterdrückung - hin und wieder auch Reformation im alten System oder zu einer neuen Gemeinschaft von Einzelnen die in der Liebe Gottes zusammenfanden und zusammen standen. Ihr Symbol war das Kreuz, an dem sich Gottes Liebe offenbart hat - das für jeden gewissermaßen der Prägestempel seines absoluten Wertes ist.

Wenn du dich heute in der Wahlkabine bei deinem Kreuz als kleiner Tropfen ohne Gewicht fühlst, dann denke daran: seit 2000 Jahren steht ein Kreuz in der Welt als Garantie für deinen Wert bei Gott und bei allen die in seiner Liebe leben.

Ich glaube, diese Wirklichkeit ist der innere Grund, aus dem die Demokratie im christlichen Abendland entstanden ist.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, diese Aussage steht über unserem Grundgesetz. -
„Schau auf den Gekreuzigten, er stirbt für dich. So wichtig bist du!“ Das ist die Botschaft des Evangeliums. Sie ist zwei Jahrtausende hindurch unverändert gültig.

Zu dieser Botschaft kannst du als mündiger Mensch Ja oder Nein sagen.
Du kannst dich auch einreihen in die große Schar der Nichtwähler – aber das wäre unter deiner Würde.
Du hast die Wahl!