Du hast die Wahl! Du willst,
dass alle durch ihre Arbeit genug zum Leben verdienen? Dann wähle
die SPD, sie hat einen Mindestlohn von 8,50 € im Programm, oder,
noch besser die Linke, mit 10 Euro. Du
willst, dass die deutsche Wirtschaft leistungsfähig und im globalen
Wettbewerb konkurrenzfähig ist? Dann wähle FDP - denn dieses
Ziel steht bei ihr weit oben. Du
willst Rücksicht auf Natur und Umweltschutz und willst die Energiewende
fördern? - Dann wähle die Grünen.
Bei dir stehen ganz andere
Wünsche, Hoffnungen und Notwendigkeiten an erster Stelle?
Unter den 34 Parteien, die zur Wahl stehen, findest du wahrscheinlich
die passende. Deine Stimme
ist wichtig, auch wenn sie kein Gewicht hat.
Angesichts der 60 Millionen
Wahlberechtigten ist es so viel wie ein Tropfen auf 2.000 l Wasser. Weil
aber fast 30 % nicht wählen immerhin ein Tropfen auf 1.500 l (denn
du gehörst ja zu den 44 Millionen Wählern).
Doch nur, wenn du und alle,
die dein wichtigstes Anliegen teilen, ihre Stimme der Partei geben, die
es vertritt - dann besteht die Chance, dass diese Partei ins Parlament
kommt und euer Anliegen dort artikuliert. Wahrscheinlich kann sie es nicht
durchsetzen - doch es ist präsent. Je mehr die Partei gewählt
haben, umso mehr Abgeordnete vertreten euer Anliegen und umso mehr hat
es Einfluss auf den Kurs der Regierung.
Kaum eine Gruppe kann das Steuer einfach herumreißen - das gäbe
wohl einen schlimmen Zickzackkurs - doch das ziemliche Zickzack der Regierungspolitik
zeigt, dass die Anliegen, die Warnungen, die Kritik der anderen Wirkung
haben - je mehr sie vertreten, umso stärker.
Die Möglichkeit, dass der Kapitän das Ziel fest im Auge hat
und geraden Kurses darauf zu fährt, die wird dadurch zunichte gemacht
- doch, die Gefahr, dass der Kapitän stur einen falschen Kurs einhält,
wird deutlich geringer, auch dank deiner Stimme.
Eine Partei der Nichtwähler gibt es auch - du kannst
sie wählen - und irgendwie gehörst du dann zu der stärksten
Fraktion (denn das wären immerhin 40 %, bezogen auf die abgegebenen
Stimmen). Sie behauptet, 18 Millionen Nichtwähler zu vertreten -
also auch die, welche sie nicht gewählt haben. Das wären fast
halb so viele wie zur Wahl gegangen sind.
Das gemeinsame Anliegen der Nichtwähler dürfte schwer zu bestimmen
sein und deshalb kaum zu artikulieren im Parlament, falls die gewählten
Vertreter der Partei der Nichtwähler die Fünf-Prozent-Hürde
erreichen. Sie könnten allenfalls das ganze System infrage stellen
und ein ganz neues verlangen. Dafür müssten sie aber wohl die
absolute Mehrheit haben - die Gefahr besteht kaum.
Musik
Wahrscheinlich habt ihr gemerkt,
dass ich von Wahlen nicht allzu viel Ahnung habe. Ausführlich waren
die Informationen in der Presse, im Fernsehen und im Internet also,
Ihr wisst Bescheid!
Doch das mit dem einen Tropfen auf 2000 l oder 1500 l Wasser, das stimmt.
So gering ist das Gewicht des Einzelnen, so gering ist dein Gewicht in
der Masse. Und da ist kein Unterschied zwischen dir und mir, zwischen
Hilfsarbeiter und Bankdirektor, zwischen Rentnerin und Kanzlerin.
Das ist die gewaltige Errungenschaft der Demokratie - und jeder Angriff
auf die Demokratie erfolgt an diesem Punkt.
Jeder Liter Wasser beinhaltet
30.000 Tropfen. Nur weil Billionen und Aberbillionen Regentropfen auf
die Erde fallen, haben Quellen, Bäche und Flüsse Wasser, wachsen
Pflanzen, leben Tiere und Menschen.
Nur weil 60 Millionen Menschen ihre Stimme abgeben können, sind im
Parlament Debatten möglich über die verschiedenen Anliegen,
Bedürfnisse, Ärgernisse, Fehler und Ziele - auch die deinen,
und die Mehrheit entscheidet.
Das garantiert nicht die besten Lösungen, aber es ermöglicht
den Frieden, ohne den die beste Lösung nie erreicht wird. Auch fast
70 Jahre Frieden in Europa - Frieden und Freundschaft zwischen Erbfeinden0
sind eine Frucht davon.
Vier Jahre dürfen die
Wahlsieger ihre Ziele verfolgen und ihre Wahlversprechen einlösen,
unter der kritischen Beobachtung durch die Opposition - und sie können
sicher sein, kein Fehler und kein gebrochenes Versprechen bleibt unbemerkt
oder wird vergessen. Es wird im nächsten Wahlkampf präsentiert!
So werden manche mutigen Entscheidungen verhindert - aber auch waghalsige
Experimente.
Es ist ein geniales Spiel der Kräfte - und du bist daran beteiligt
mit deiner Stimme.
Im Wahllokal wirst du schon
erwartet - dein Name steht in einer Liste, und nur du bekommst deinen
Wahlschein. Völlig frei und unbeobachtet kannst du dein Kreuz machen
bei den Kandidaten deiner Wahl - und persönlich wirfst du den Wahlzettel
in die Urne.
Das wirkt alles selbstverständlich, doch es war ein weiter Weg bis
hierher.
Musik
Das mit den Listen begann vor
2000 Jahren, ja noch früher wir sind im Jahr 2013 nach Christi
Geburt.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus
ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung
war die allererste.
So beginnt die Weihnachtsgeschichte.
Da wurden Listen angelegt, Steuerlisten, im ganzen römischen Reich
vom Euphrat bis zum Atlantik und vom Nil bis zur Nordsee.
Kaiser Octavian war erhöht
worden zu Augustus, dem Erhabenen, dem göttlich
Erhöhten - und diesen Titel trugen seitdem die Cäsaren.
Auch die Steuerlisten wurden weitergeführt.
Zum römischen Reich gehörten schließlich 40 Völker
mit verschiedenen Religionen - alle mussten schwören auf den göttlichen
Kaiser. Etwas Weihrauch in die Glut werfen und bekennen: Cäsar
ist Herr - dann bekam der Name auf der Liste ein Kreuz und der Opfernde
ein Testat.
Wer sich weigerte galt als Feind, und wurde getötet.
Christen weigerten sich - denn Christus ist der Herr bekennen
sie, und viele starben als Märtyrer.
Doch immer mehr bekannten Christus. Selbst die Mutter von Kaiser Konstantin
war Christ geworden.
Es wird erzählt, die Vision eines Kreuzes als Siegeszeichen war Ursache
für Konstantins Bekehrung. Wahrscheinlich war es aber mehr die Erkenntnis,
dass der Christenglaube ein besseres Band zur Einigung seines Reiches
sein könnte als das Kaiser-Opfer - denn die Listen dieser Opfer kamen
ja nach Rom und zeigten die Zunahme der Christenim römischen Reich.
Das reichte jetzt schon bis zur schottischen Grenze.
So wurde die Weiche der Geschichte gestellt Richtung christliches
Abendland.
Es dauerte noch lange, bis
zu den Listen bei unseren demokratischen Wahlen - doch diese Entwicklung
ist eine abendländische, auch wenn der christliche Anteil
daran immer weniger sichtbar wird. Es lohnt sich aber, danach zu suchen.
Deine Stimme und auch meine
Stimme - jede Stimme bei der Wahl - hat das Gewicht eines Tropfens auf
2000 l Wasser - und doch ist jeder von uns unendlich wichtig. Nach welchem
Maßstab?
Vor 2000 Jahren galten die Bürger Roms viel mehr als die Menschen
in den besetzten Ländern - und der Wert eines Sklaven wurde an seinem
Kaufpreis gemessen.
Dann tauchten Gemeinschaften auf, in denen Nationalität, Besitz,
soziale Stellung, Bildung keine Bedeutung hatten - alle feierten ein heiliges
Mahl - der Herr mit den Sklaven, der Reiche mit dem Bettler, denn alle
bekannten: Christus ist der Herr.
Nicht weil dieser Christus sie beherrschte oder besiegt hatte, sondern
weil er sie liebte - jeden Einzelnen völlig gleich und absolut. So
sehr, dass er sein Leben hingegeben hatte für diese Liebe - und darinnen
offenbart sich Gottes Liebe zu jedem Einzelnen.
Er hat sein Kreuz gemacht bei deinem Namen, bei meinem und bei allen.
Schon damals erlebten die Menschen: Wirklich wertvoll bin ich nur, wenn
ich geliebt werde - ich bin wertvoll, weil ich geliebt bin.
Der Sklave wusste: Ich bin Gott genauso wichtig wie mein Herr -
selbst wenn der es noch nicht erkannt hat. Der Herr konnte erkennen:
Mein Sklave ist mein Bruder, auch wenn er weiter für mich arbeitet.
Vor Gott sind wir alle gleich - wir sind seine geliebten Kinder in Christus.
Das klingt zu schön, um
wahr zu sein - und bald begann auch der Missbrauch und die Entartung.
Aber die Botschaft blieb erhalten und erreichte immer wieder die Einzelnen,
gab Ihnen Selbstbewusstsein und Würde.
Hier und da gab es einen neuen Aufbruch, Befreiung von geistiger und geistlicher
Bevormundung und Unterdrückung - hin und wieder auch Reformation
im alten System oder zu einer neuen Gemeinschaft von Einzelnen die in
der Liebe Gottes zusammenfanden und zusammen standen. Ihr Symbol war das
Kreuz, an dem sich Gottes Liebe offenbart hat - das für jeden gewissermaßen
der Prägestempel seines absoluten Wertes ist.
Wenn du dich heute in der Wahlkabine
bei deinem Kreuz als kleiner Tropfen ohne Gewicht fühlst, dann denke
daran: seit 2000 Jahren steht ein Kreuz in der Welt als Garantie für
deinen Wert bei Gott und bei allen die in seiner Liebe leben.
Ich glaube, diese Wirklichkeit
ist der innere Grund, aus dem die Demokratie im christlichen Abendland
entstanden ist.
Die Würde des Menschen
ist unantastbar, diese Aussage steht über unserem Grundgesetz.
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Schau auf den Gekreuzigten, er stirbt für dich. So wichtig
bist du! Das ist die Botschaft des Evangeliums. Sie ist zwei Jahrtausende
hindurch unverändert gültig.
Zu dieser Botschaft kannst
du als mündiger Mensch Ja oder Nein sagen.
Du kannst dich auch einreihen in die große Schar der Nichtwähler
aber das wäre unter deiner Würde.
Du hast die Wahl!
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