Geschichtlicher Hintergrund
16.10.1906: In Köpenick
bei Berlin steigt gegen 14.30 Uhr ein Mann in Hauptmannsuniform
aus einem Zug. Mit 10 Soldaten besetzt er das Rathaus und verhaftet
den Bürgermeister. Er lässt sich die Stadtkasse vorzählen
und quittiert 4.000,17 Mark. Er zahlt "seinen" Soldaten
einen "Sold" aus und verschwindet mit dem "Rest".
Die Polizei kommt dem Täter schnell auf die Spur und identifiziert
ihn als den arbeitslosen Schuster Wilhelm Voigt. In der Haftanstalt
ist er ein alter Bekannter. Von seinen 54 Lebensjahren hat er 27
Jahre im Gefängnis verbracht. Das Kommandieren hat er nicht
in der preußischen Armee gelernt, sondern im Knast. Die Hauptmannsuniform
hat er beim Trödler erstanden.
Aber Voigt plante mit
seiner Aktion keinen Raubüberfall und auch keinen Staatsstreich,
sondern er wollte sich mit der Aktion einen Pass ausstellen lassen,
den man ihm immer wieder verweigerte. Aber im Rathaus von Köpenick
gab es kein Passamt.
Völlig unbeachsichtigt
stellt Voigt den unterschütterlichen Glauben an Uniform und
bedingungslosen Gehorsam bloß. Schließlich lacht man
in der ganzen Welt über den preußischen Obrigkeitsstaat.
Sogar Kaiser Wilhelm
II. zeigt sich amüsiert.
Wilhelm Voigt wird am
1. Dezember 1906 vor dem Landgericht Berlin wegen des unberechtigten
Tragens einer Uniform, Vergehens wider die öffentliche Ordnung,
Freiheitsberaubung, Betruges und schwerer Urkundenfälschung
zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Gefängnis verurteilt.
Nach seiner Begnadigung am 16. August 1908 tingelt Voigt als falscher
Hauptmann auf den Varietébühnen Europas und vermarktet
seine Geschichte als begehrte und gefragte Ware. Durch die Inflation
völlig verarmt, stirbt Wilhelm Voigt am 3. Januar 1922 in Luxemburg.
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Filmplakat
1956: Heinz Rühmann als "Der Hauptmann von Köpenick",
Regie: Helmut Käutner Quelle: www.deutscher-tonfilm.de |
Carl Zuckmayer macht aus dem Stoff ein Theaterstück
Der Dramatiker Carl Zuckmayer
macht die Geschichte als "Der Hauptmann von Köpenick"
1930 zu einem sehr erfolgreichen Theaterstück. Auch die Nazi
verstehen die Botschaft und setzen es auf den Index. Die prominentesten
Darsteller der Titelrolle sind Heinz
Rühmann und Harald Juhnke.
Auch heute, da der Militärstaat
abgeschafft ist, ist das Stück populär und aktuell, denn
die Bürokratie regiert weiter.
"Der Hauptmann von
Köpenick" hat neben der humorigen auch eine tiefe Seite:
Voigt will mit dem Husarenstück "das bisschen Leben, was
ihm noch bleibt", in geordnete Verhältnisse bringen. Als
er von der Beerdigung eines tuberkulose-kranken Mädchens kommt
und sein Schwager Friedrich Hoprecht ihn - völlig unpassend
- an sein Pflichtgefühl, seine "innere Stimme", erinnern
will, sagt Wilhelm Voigt (14.Szene, S.102):
Wilhelm
Voigt: |
Vorhin,
uff'm Friedhof, da hab' ick se jehört, die innere Stimme.
Da hat se jesprochen, da hat se zu mir jesagt: Mensch, hat se
jesagt, einmal kneift jeder 'n Arsch zu - du auch, hat se jesagt,
und dann stehste vor Jott dem Vater, der alles jeweckt hat,
vor dem stehste denn, un der fragt dir ins Jesichte: Schuster
Willem Voigt, wat haste jemacht mit dein' Leben, un dann muß
ick sagen: Fußmatte...Fußmatte, muß ick sagen,
die hab ick jeflochen in Gefängnis, un da sind se alle
drauf rumjetrampelt. und Gott der Vater sagt zu mir: Jeh weg,
sagt er, Ausweisung, sagt er, detwegen hab ick dir det Leben
nich jeschenkt, det biste m'r schuldig, sagt er, wo isset? Wat
haste 'mit jemacht?...Un denn, Friedrich, denn isset wieder
nischt mit de Aufenthaltserlaubnis... |
Friedrich
Hoprecht: |
Du
pochst an die Weltordnung, Willem. Det is Versündigung.
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Voigt: |
Nee
nee. So knickrig will ich mal nicht vor meinem Schöpfer
stehen. Ick wer' noch wat machen...mit mein' Leben... Is jut,
Friedrich. Bis'n braver Kerl. Dank d'r für alles. Ick jeh.
Dir auch, Marie. Ich wer'...Ich wer' noch wat machen nu... |
Autor: Uwe Schütz
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