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Geordneter Rückzug

Knesset hat die Aufgabe jüdischer Siedlungen im Gaza-Streifen beschlossen

28.10.04: Das Israelische Parlament, die Knesset, hat am Dienstag, 26. Oktober 2004, die Aufgabe jüdischer Siedlungen im unter palästinesischer Verwaltung stehenden Gaza-Streifen beschlossen. Die Siedlungen sind seit Jahrzehnten Anlass zu blutigen Auseinandersetzungen und konnten nur unter massiver militärischer Bewachung aufrechterhalten worden. Gegen Siedler, die sich gegen die Umsiedlung wehren, soll rechtlich vorgegangen werden.

Eine deutliche Mehrheit von 67 Abgeordneten stimmte am Dienstagabend für das Vorhaben, das auch die Räumung von vier Siedlungen im Westjordanland (Ganim, Kadim, Chomesch und Sa-Nur) vorsieht. 45 waren dagegen, sieben enthielten sich. Sharon konnte sich bei der Abstimmung allerdings nur mit Stimmen der Opposition derart deutlich durchsetzen. Innerhalb Sharons Likud-Partei stimmten zahlreiche Politiker gegen Sharons Abzugsplan und stürzten die Regierung tiefer in die Krise.

Als erste Reaktion entließ Sharon noch am Abend der Abstimmung Kabinettsminister Usi Landau, der gegen das Vorhaben stimmte. Weitere Entlassungen seien nicht auszuschließen, ließen Regierungskreise verlautbaren. Zudem drohten vier Likud-Politiker mit dem Rücktritt, sollte Sharon ohne Volksabstimmung den Rückzug aus dem Gaza-Streifen anordnen.

Ministerpräsident Ariel Scharon hatte bereits im Februar angekündigt, alle 21 Siedlungen im Gaza-Streifen und vier der 120 Siedlungen im Westjordanland bis Ende 2005 aufzulösen und damit massive Proteste ausgelöst

Scharon: "Gaza-Rückzug schwerste Entscheidung meines Lebens"

Israels Premierminister Ariel Scharon hat am Montag, 25.10., vor der Knesset seinen Rückzugsplan als schwerste Entscheidung seines Lebens bezeichnet, die jedoch für Israel notwendig sei. Der Vorsitzende der Partei "Nationale Union" musste nach mehreren Zwischenrufen den Saal verlassen.

Scharon sagte in seiner Eröffnungsrede vor der vollbesetzten Knesset, der Rückzug aus dem Gazastreifen und aus Siedlungen im nördlichen Westjordanland "stärke Israel", und er beabsichtige, ihn durchzusetzen. Diese Entscheidung sei die schwierigste, die er je gemacht habe in seinem ganzen Leben "als Kämpfer und Kommandeur, als Politiker, Knesset-Mitglied, Regierungsminister und Premierminister".

Wie die Tageszeitung "Ha´aretz" berichtet, sagte Scharon, Israel könne mit dem Status quo nicht weitermachen. "Wir wollen nicht über Millionen Palästinenser herrschen, die sich in jeder Generation verdoppelt", sagte Scharon. "Israel will eine Demokratie sein und kann das nicht tun."

Scharon erklärte, er wisse, was die Entscheidung für die israelischen Bewohner des Gazastreifens bedeute, die im Namen der Regierung einst ihre Häuser dort bauten. Außerdem betonte er, er bleibe offen für Verhandlungen mit den Palästinensern. Sie müssten lediglich die Terror-Angriffe beenden. "Der Rückzugsplan ist kein Ersatz für Verhandlungen" so Scharon, "er ist ein notwendiger Schritt in einer Phase, wo Verhandlungen unmöglich geworden sind. Alles ist offen, wenn der mörderische Terror endet".

Eine Viertelstunde nach Redebeginn wurde der Vorsitzende der National-Religiösen, Effi Eitam, des Saales verwiesen, weil er Scharons Rede wiederholt mit Zwischenrufen gestört hatte. Ihm folgten Zvi Hendel und Uri Ariel von der Nationalen Union.

Siedler demonstrieren gegen Räumungsplan

Zahlreiche Siedler haben am Dienstag, 26.10., dem Tag der Abstimmung, vor der Knesset gegen den Räumungsplan des Premierministers Ariel Scharon demonstriert. In den Siedlungen des Westjordanland und des Gazastreifens haben Schulen und öffentliche Einrichtungen ihre Arbeit niedergelegt, damit möglichst viele Menschen an den Aktionen in Jerusalem teilnehmen können.

Viele Schüler und Studenten demonstrierten gemeinsam mit den Stadtbeamten und anderen Siedlern vor der Knesset und vor den Regierungsbüros. Die Rabbis des Jescha-Siedlerrates hatten am Montag dazu aufgerufen, "die Hände zu erheben für das Land Israel", berichtet die Tageszeitung "Ha´aretz".

"Jeder, der gegen die Siedlungen vorgeht und gegen den Glauben Israels und seine Bräuche handelt, wird schandvoll in die Erinnerung eingehen als jemand, der einen Riss in der Nation verursacht hat", lautete die Stellungnahme des Rates. An den Protesten vor der Knesset werden voraussichtlich auch die ehemaligen Oberrabbiner Avraham Schapira und Mordechai Eliahu teilnehmen.

Siedler-Führer Avi Farhan hatte am Montag einen Protestmarsch mit Bewohnern der Gaza-Siedlung Alei Sinai organisiert. Bereits vor 22 Jahren rief er einen ähnlichen Zug ins Leben, als die Bewohner der Siedlung Jamit ihre Häuser räumen mussten. Damals unterzeichneten Ägypten und Israel einen Friedensvertrag. "Warum tust du uns das ein zweites Mal an, Arik?", fragten sie den Premier. Farhan, der die Siedlung im Sinai mitgegründet hatte, will in den kommenden Tagen Staatspräsident Mosche Katzav treffen, der sich für einen Volksentscheid ausgesprochen hatte. Er will ihn dazu bewegen, sich für ein Referendum einzusetzen. "Dies ist keine Protestveranstaltung, sondern ein Schrei, der aus einem verwundeten und schmerzenden Herzen kommt und sich an Arik (Scharon) richtet", so Farhan.

Wie die "Jerusalem Post" berichtet, waren die Siedler am Montagmorgen zur Klagemauer gegangen, wo sie Zettel mit Gebeten in die Klagemauer steckten, als Scharon seine Rede vor der Knesset begann. Anschließend zog die Gruppe von etwa 100 Siedlern vor die Knesset. Sie trugen Schilder, auf denen stand: "Unsere Häuser sind nicht zu verkaufen" und "Lasst die Nation entscheiden".

Die jüdische Gemeinschaft von Hebron hat in einem E-Mail-Rundbrief weltweit dazu aufgerufen, die israelischen Politiker direkt mit einem Protest gegen den Rückzugsplan zu konfrontieren. Dazu veröffentlichte sie die Fax- und Mobilfunk-Nummern zahlreicher Knesset-Abgeordneter. Die Empfänger der E-Mail sollen die Knesset-Mitglieder anrufen oder ihnen per Fax verdeutlichen, dass sie gegen den Rückzug aus den jüdischen Siedlungen sind.

Entschädigungszahlungen für jüdische Siedler

Bereits am Sonntag, 24.10., hatte das israelische Kabinett dem Entwurf für die Entschädigungszahlungen für den Rückzugsplan angenommen. Die entstehenden Kosten für die Umsiedlung von etwas 8.000 Israelis in Höhe von etwa 390 Millionen Euro sollen durch eine Neuverschuldung des Staatshaushaltes finanziert werden. 13 Minister stimmten für den Vorschlag, sechs waren dagegen.

Von den Gegenstimmen kamen fünf von Ministern aus Scharons eigener Partei: Usi Landau, Jisrael Katz, Dan Naveh, Natan Scharansky und Tzachi Hanegbi gehören dem Likud an. Der sechste Gegner war Sevulun Orlev von der National-Religiösen Partei.

UNO-Generalsekretär Kofi Annan beglückwünschte Ariel Scharon

UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat am Mittwochabend Israels Premierminister Ariel Scharon zu seinem Trennungsplan beglückwünscht. Der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen könne zum Friedensprozess beitragen, sagte er.

Annan betonte, dass er einen vollständigen israelischen Rückzug weiterhin unterstütze. Dieser werde der Besatzung des Gazastreifens ein Ende machen. Er hoffe, dass die Räumung "den Friedensprozess belebt", so der Generalsekretär der Vereinten Nationen laut der Tageszeitung "Jediot Aharonot".

US-Außenministerium lobt Entscheidung als wichtigen Schritt zum Frieden

Das amerikanische Außenministerium hat die Entscheidung der Knesset zum Rückzugsplan als wichtigen Schritt auf dem zum Frieden mit den Palästinensern gelobt. Die radikal-islamische Hamas deutete die Entscheidung als Sieg des palästinensischen Widerstandes.

Der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Adam Ereli, sagte am Dienstag: "Wir glauben, dass der Rückzugsplan eine Gelegenheit darstellt, wieder zu einem politischen Prozess zu kommen und die Interessen beider Seiten anzunähern".

Ereli wies darauf hin, dass Scharons Plan außerdem zur Räumung einiger Siedlungen im Westjordanland vorsieht. "Siedler-Aktivität ist etwas, das uns Sorgen macht".

Die Regierung George W. Bushs sieht in der Evakuierung von 8.000 jüdischen Siedlern aus Gaza und der Räumung von vier Siedlungen im Westjordanland einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem palästinensischem Staat.

Gemischte palästinensische Reaktionen

Wie die Tageszeitung "Ha´aretz" berichtet, begrüßte auch der palästinensische Minister Saeb Erekat die Knesset-Entscheidung. Allerdings fügte er hinzu: "Wenn es die israelische Regierung ernst meint mit dem Frieden, sollte es an den Verhandlungstisch zurückkehren, um die 'Roadmap' umzusetzen". Er kritisierte: "Wir haben sie beobachtet, wie sie unsere Zukunft beratschlagten, die Zukunft der Palästinenser, die unserer Kinder, mit einem Faktor: dass wir fernbleiben sollen".

Die Terror-Organisation Hamas verbuchte die Entscheidung des israelischen Parlaments für den Rückzugsplan als ihren Sieg: "Die Abstimmung des Scharon-Planes zum Rückzug aus dem Gazastreifen ist ein großer Erfolg des palästinensischen Volkes und des Widerstandes", sagte der Hamas-Sprecher Muschir al-Masri. "Er allein hat die Zionisten auf die Idee gebracht, Gaza zu verlassen".

Es gab aber auch kritische Stimmen, der Abzug aus dem Gaza-Streifen könne als Ablenkungsmanöver eingesetzt werden, um in Ostjerusalem und dem Westjordanland israelische Interessen legitimieren zu können.

Uwe Schütz, AREF, 28.10.04

Quellen: israelnetz.de und jesus.de-Newsletter

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