Als Geburtskirche bezeichnet
man eine Kirche, die über der vermuteten Geburtsstätte
Jesu Christi errichtet wurde. Sie steht in der Stadt Betlehem im
Norden von Jerusalem im Westjordanland, dem Palästinensischen
Autonomiegebiet. Die Geburtskirche ist vor allem in der Weihnachtszeit
ein beliebtes Ziel.
Die Geburtskirche ist die älteste Kirche der Christenheit
|
Geburtskirche
in Bethlehem Foto: public domain von wikipedia.de
|
Die Geburtskirche in
Bethlehem ist die älteste Kirche der Christenheit. Im vierten
Jahrhundert nach Christus machte die byzantinische Königinmutter
Helena eine Reise ins Heilige Land und legte dabei die meisten heute
noch traditionell anerkannten Heiligen Stätten fest - neben
dem Berg Sinai auch die Grabeskirche
und den Ort der Geburtsgrotte Jesu.
Zwischen 327 und 333
ließ Kaiser
Konstantin I. eine erste Basilika bauen. Um die Wende vom 4.
auf das 5. Jahrhundert übersetzte Hieronymus in dieser Gegend
die Bibel ins Lateinische. Als im 7. Jahrhundert die Perser alle
Kirchen des Landes dem Erdboden gleich machten, zerstörten
sie erstaunlicherweise die Geburtskirche nicht. Die Legende besagt,
dass der persische Kommandeur von einem Fresco der drei Weisen aus
dem Morgenland so beeindruckt war, dass er die Zerstörung des
Gotteshauses verhinderte. Die drei Magier waren in persische Gewänder
gekleidet.
Die Geburtskirche in Bethlehem ist vor
allem in der Weihnachtszeit ein beliebtes Ziel
Die Geburtskirche in
Bethlehem ist vor allem in der Weihnachtszeit ein beliebtes Ziel
für Pilger. Am späten Vormittag des 24. Dezember wird
der lateinische Patriarch, der seinen Sitz in Jerusalem hat, von
der Bevölkerung und Geistlichkeit Bethlehems pompös vor
der Geburtskirche empfangen. Aus der neben der orthodoxen Basilika
gelegenen katholischen Katharinenkirche wird traditionell am Heiligen
Abend die Christvesper per Fernsehen in alle Welt übertragen.
Seit der Moslem Jasser
Arafat 1995 erstmals am Weihnachtsfest in Bethlehem teilgenommen
hat, erlebte die Festivität eine zunehmende Politisierung.
Zu Ehren des PLO-Vorsitzenden wurde damals ein Modell des Felsendoms
auf dem Dach der Geburtskirche platziert, was der Nahostkorrespondent
Ulrich Sahm als Demonstration der Herrschaft des Islam über
die heiligste christliche Stätte interpretierte. Zudem hing
erstmals in der Geschichte der Geburtskirche eine Nationalflagge,
die palästinensische, an der Kirchenmauer - was weder unter
den Türken, noch unter Briten, Jordaniern oder Israelis jemals
der Fall gewesen war.
Die Geburtskirche zieht selbst Menschen an, die nicht viel vom
Christentum halten
Die Geburtskirche hat
eine mystische Ausstrahlung und zieht selbst Menschen an, die vom
Christentum nicht viel halten. Moslemische Frauen kommen, stecken
ihre Finger in kreuzförmige Löcher einer der uralten Säulen
und bitten um Fruchtbarkeit. Palästinensische Christen bringen
ihre neugeborenen Kinder an den Geburtsort des Herrn und versprechen
sich davon einen besonderen Segen.
Die Geburtskirche hat eine bewegte Geschichte
- Immer wieder gab es Streit
Bis in die jüngste
Zeit hinein hat die Geburtskirche eine bewegte Geschichte. In der
Mitte des 19. Jahrhunderts war sie einer der Hauptgründe dafür,
dass die Franzosen in den Krimkrieg gegen die Russen einstiegen.
Besonders zu Festzeiten
wird jeder Tritt einer Prozession, die genaue Länge von Gottesdienstzeiten,
jeder Besenstrich eines Mönchs beim Hausputz vor dem Fest mit
eisernem Ernst durchfochten. Eigentlich haben die Briten 1929 jede
Einzelheit im so genannten "Status quo" schriftlich dokumentiert,
nachdem er 1856 in Paris festgelegt und auf dem Berliner Kongress
1878 und im Vertrag
von Versailles 1919 noch einmal bestätigt worden war. So
konnten beispielsweise die römischen Katholiken (Lateiner)
mit Dokumenten aus dem 17. und 18. Jahrhundert ihre uralten Ansprüche
"beweisen".
Durchgesetzt haben sich
aber die Orthodoxen, die heute das alleinige Recht besitzen, im
Hauptschiff der kreuzförmigen Kirche Prozessionen abhalten
zu dürfen. Die Armenier, die im nördlichen Querschiff
sitzen, dürfen das Hauptschiff nur auf dem Weg in ihren Bereich
durchqueren. Und die Lateiner, die den Krippenaltar in der Grotte
besitzen, haben nur Durchgangsrechte vom Haupteingang zum Eingang
ihres Konvents, und von ihrer Kirche in einer geraden Linie durch
das nördliche Querschiff zur Nordtür der Grotte. Sie dürfen
keinerlei religiöse Zeremonien in der Basilika durchführen
und dürfen dort auch nicht putzen. Die eifrigen Nachfolger
des Friedefürsten kämpfen also um jeden Quadratzentimeter,
um jedes Quäntchen Staub, um jedes Jota Rechtsanspruch.
Moslems schlichten Streit zwischen Christen
Dabei ist es schon zu
blutigen Schlägereien gekommen. Geistliche Ansprüche sollten
mit brachialer Gewalt durchgesetzt werden. Die Staatsmacht wurde
in solchen Fällen zur Schlichtung gerufen. Vor einigen Jahren
war das noch die israelische Militärregierung, heute ist es
ein Moslem, der die Christen miteinander versöhnen muss.
Vielleicht ist ja das
große weiße Schild neben dem Eingang der Geburtskirche
des Rätsels Lösung. Dort ist nachzulesen, dass die Sachverständigenstudie
und das Design der Dachrenovierungsarbeiten großzügig
von Seiner Exzellenz Mahmud Abbas, dem Präsidenten Palästinas,
gespendet wurden - einem Moslem! Ansonsten wäre jede potentielle
Veränderung des Status quo im Heiligen Land einen grundsätzlichen
Streit wert gewesen.
Während der israelisch-palästinensischen
Auseinandersetzungen wurde sie immer wieder Schauplatz von Kämpfen.
So verschanzte sich im Frühjahr 2002 eine Gruppe von militanten
Palästinensern in dem Gebäude und wurde dort von der israelischen
Armee belagert.
Die westliche Christenheit interessiert der Streit um den Geburtsort
Jesu nur wenig
Doch abgesehen von diesen
zeitlich begrenzten, politischen Eskapaden kümmert die westliche
Christenheit der Streit um den Geburtsort Jesu nur wenig. Sie feiert
Weihnachten am 24. Dezember - und am Abend dieses Tages sind die
Lateiner Alleindarsteller in der Geburtskirche. Die evangelischen
Lutheraner haben ihre Weihnachtskirche ein paar hundert Meter Luftlinie
entfernt auf der anderen Seite der Altstadt von Bethlehem und erheben
keinen Besitzanspruch auf den originalen Geburtsort Jesu.
Die Ostkirchen feiern
das Christfest erst am 6. Januar. Der wichtige Großputz, bei
dem jeder Besenstrich ein Akt von weltpolitischer Bedeutung ist,
weil es weniger um Sauberkeit als um Besitzansprüche geht,
ist ein Streitpunkt zwischen Gläubigen der Ostkirchen. Auch
er findet erst im Januar statt, wenn für die Westkirche das
Weihnachtsfest schon längst im Rummel von Sylvester und Jahreswechsel
verklungen ist.
Nach einem Hintergrundbericht
von Johannes
Gerloff, Jerusalem, 2010
|