Was bedeutet der Begriff Scharia?
Scharia
ist das religiöse Gesetz des Islam. Der Begriff Scharia mein
im Wortsinn Weg zur Tränke, Weg zur Wasserquelle oder deutlicher,
gebahnter Weg. Er leitet sich aus dem Verb ara'a ab,
den Weg weisen, vorschreiben.
Praktische Bedeutung der Scharia
Der Begriff
Scharia bezeichnet das islamische Recht; es enthält
die Gesamtheit der Gesetze, die in einer islamischen Gesellschaft
zu beachten und zu erfüllen sind.
Die
Scharia basiert auf dem Koran und auf der sich ab der Mitte des
7. Jahrhunderts herausbildenden Überlieferung vom normsetzenden
Reden und Handeln Mohammeds. aus: Tilman Nagel:
Kann es einen säkularisierten Islam geben? in: Reinhard C.
Meier-Walser und Rainer Glagow (Hrsg.)
Dabei ist
die Scharia keine Sammlung von ausformulierten Gesetzen wie etwa
das deutsche Bürgerlichen
Gesetzbuch (BGB) oder das Strafgesetzbuch (StGB), sondern eine
Methode, um Recht zu schaffen.
Die Scharia
regelt sowohl die kultischen und rituellen Vorschriften gottesdienstliche
Handlungen des Menschen als auch seine Beziehungen untereinander.
Die Scharia achtet darauf, dass die religiösen Verpflichtungen
des Einzelnen gegenüber Allah erfüllt werden und alle
Beziehungen des Einzelnen zu seinen Mitmenschen Vermögensrecht,
Familien- und Erbrecht, Strafrecht unter anderem stets diesen
Verpflichtungen entsprechen.
Um Glaubensfragen
im engeren Sinne kümmert sich die Scharia nicht. Der Mensch
hat das islamische Recht mit seinen Bestimmungen und Widersprüchen
kritiklos zu akzeptieren. Das Forschen nach der Bedeutung und inneren
Logik der göttlichen Gesetze ist nur zulässig, soweit
Gott selbst den Weg dazu weist. Somit ist die religiöse Wertung
aller Lebensverhältnisse die Grundtendenz der Scharia. (aus:
A. J. Wensinck und J. H. Kramers (Hrsg.): Handwörterbuch des
Islam. Brill, Leiden 1941, S. 674.)
Scharia ist gottgegebenes
Recht, offenbart in Koran und Sunna, in den Grundzügen und
als Werteordnung gültig für alle Zeiten und Orte.
Davon zu unterscheiden
ist das Rechtssystem Fiqh, das aus der Scharia abgeleitet wird,
menschengemacht ist und daher veränderlich ist und Spielraum
für Kontroversen bietet.
Der Unterschied zwischen Scharia und Fiqh ist wesentlich
Unter Fiqh versteht man
dagegen die Gesetzeswissenschaft im Islam, deren Gegenstand die
Scharia ist. Es entspricht der iuris prudentia (Rechtswissenschaft)
der Römer und erstreckt sich auf alle Beziehungen des religiösen,
bürgerlichen und staatlichen Lebens im Islam. Die religiösen
Gesetze werden in den Büchern des Fiqh dargelegt und erörtert.
Ein in europäischem Sinne festgelegtes Familienrecht,
Erbrecht, Strafrecht oder andere
kennt das islamische Rechtssystem nicht. Ihre Darstellung
ist den Rechtsschulen in ihren Fiqh-Büchern, mit teilweise
deutlich kontroversen Rechtsauffassungen, vorbehalten.
Ursprung der Scharia
Der Begriff Scharia hat
seinen Ursprung im Koran. Erwähnt wird er dort jedoch nur an
einer einzigen Stelle: Sure 45, Vers 17, wo er ursprünglich
den Pfad in der Wüste bezeichnet, der zur Wasserquelle führt,
woraus sich für Muslime der göttliche Ursprung der Scharia
herleitet.
Bedeutung der Scharia in islamisch geprägten Staaten
Die praktische Umsetzung
der Scharia ist in den islamischen Ländern sehr unterschiedlich.
In manchen Staaten gibt es eine theokratische Identität von
offiziellem Recht und Scharia, in anderen wurde die Scharia abgeschafft,
in manchen hat sie im Sinne eines Rechtspluralismus
lediglich für einen Teil der Bevölkerung Gültigkeit.
Türkei
In der Türkei wurde
die Scharia mit der Verfassung vom 20. April 1924 unter Mustafa
Kemal Atatürk abgeschafft. Es mehren sich politisch einflussreiche
Stimmen, die die Rückkehr zum islamischen Scharia-Recht fordern.
Tunesien
In Tunesien wurde sie
mit der Verfassung vom 1. Juni 1959 abgeschafft. Lediglich Artikel
38 der tunesischen Verfassung schreibt fest, dass der Präsident
ein Muslim sein muss.
Malaysia
In Malaysia existiert
ein duales Rechtssystem, in dem islamische Gerichtshöfe parallel
zu zivilstaatlichen Institutionen operieren. Drei der 13 Bundesstaaten
des Landes erlauben etwa die Auspeitschung nach den Regeln der Scharia,
obwohl dies landesweit nach dem Kriminalstrafrecht verboten ist.
Wo hat die Scharia zivilrechtliche Bedeutung?
Allgemein verbreitet
ist die Umsetzung im zivilrechtlichen Bereich, z.B. in Algerien,
Indonesien und Ägypten.
Wo gilt die Scharia vollständig?
In einigen Staaten gilt
die Scharia vollständig, etwa in Saudi-Arabien und Mauretanien.
Zuweilen gilt die Scharia nur in islamisch dominierten Landesteilen
(Nigeria
oder Indonesien).
So wird zum Beispiel
in Ländern wie Somalia und Sudan, wo Hadd-Strafen vollstreckt
werden, auch die Schwangerschaft einer unverheirateten Frau oder
einer Ehefrau, deren Ehemann abwesend ist, als Beweis für Unzucht
genommen. In einigen Ländern werden selbst vergewaltigte Frauen
aufgrund solcher Beweisführung bestraft.
Bedeutung der Scharia in westlichen Staaten
In westlichen Industriestaaten
sowie in sonstigen nicht islamisch geprägten Ländern der
Welt kann die Scharia vermittelt über das jeweilige
Internationale Privatrecht des Landes Rechtswirkung entfalten.
Deutschland
In Deutschland findet
die Geltung etwa ihre Grenzen im Ordre public (internationes Privatrecht):
So werden Normen, die mit rechtlichen Grundvorstellungen unvereinbar
sind, nicht angewendet. 2007 verweigerte sich eine Richterin am
Amtsgericht Frankfurt am Main einer Frau, von ihrem gewalttätigen
marokkanischen Mann noch vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden
zu werden, und begründete dies damit, dass es im marokkanischen
Kulturkreis üblich sei, dass der Mann gegenüber der Frau
ein Züchtigungsrecht ausübe; damit habe die Frau bei der
Heirat rechnen müssen: Die Ausübung des Züchtigungsrechts
begründet keine unzumutbare Härte gemäß §
1565 BGB. Die Verteidigerin hat die Richterin daraufhin als
befangen abgelehnt. Es gibt allerdings tatsächlich Entscheidungen
deutscher Gerichte, die explizit Bezug auf die Scharia nehmen.
2012
plädierte der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen
Hartloff (SPD) für die Einführung islamischer Schiedsgerichte.
Auch im Sport und in den Kirchen habe man "eine eigene Rechtsprechung,
die dem inneren Frieden dient mehr
Kritiker halten der Anwendung
der Scharia in westlichen Ländern entgegen, dass die Scharia
nicht mit der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte vereinbar sei. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) urteilte
in mehreren Verfahren, dass die Scharia inkompatibel mit den
fundamentalen Prinzipien in der Demokratie sei.
Dänemark
In Dänemark verfolgt
eine islamistische Gruppe namens Ruf zum Islam das Ziel,
in muslimischen Wohngegenden in Kopenhagen Scharia-Zonen einzurichten,
in denen eine Moralpolizei das Verbot von Alkohol, Glücksspiel
und Nachtleben überwacht.
Ähnliche Lobbygruppen
soll es inzwischen auch in Großbritannien, Belgien, Frankreich
und Spanien geben.
Großbritannien
In Großbritannien
wird die Scharia nicht von den staatlichen Gerichten angewendet.
Es gibt für bestimmte Fälle religiöse Schiedsgerichte,
die auf freiwilliger Basis von den Parteien angerufen werden können.
Dabei kommt die Scharia zur Anwendung, soweit sie nicht gegen Common
Law verstößt.
Im Februar 2008 hat das
Oberhaupt der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury
Rowan Williams, es gegenüber der BBC als unvermeidlich
bezeichnet, dass Elemente der Scharia im britischen Common Law anerkannt
werden. Durch eine konstruktive Adaption von Scharia-Elementen
könnten zum Beispiel muslimischen Frauen westliche Ehescheidungsregeln
erspart werden. Dabei gehe es natürlich nicht darum, Unmenschlichkeiten
der Gesetzespraxis in einigen islamischen Ländern in den Westen
zu übertragen.
Williams Einlassungen
stießen in Großbritannien und innerhalb der anglikanischen
Kirche vielfach auf Entrüstung, dabei wurde unter anderem darauf
verwiesen, dass es nicht unterschiedliche Rechtssysteme für
verschiedene Bevölkerungsgruppen innerhalb Großbritanniens
geben dürfe. Eine gegenteilige Meinung vertritt der ehemalige
anglikanische Bischof von Rochester Michael Nazir-Ali, der selbst
wegen Morddrohungen pakistanischer Muslime nach Großbritannien
geflohen ist.
Griechenland
In Griechenland gilt
für die muslimische Minderheit (Pomaken und Türken in
Westthrakien) in Angelegenheiten, die den persönlichen Status
und das Familienrecht betreffen, die Scharia, sofern die Angehörigen
der Minderheit ihre Angelegenheiten nach der Scharia anstelle des
griechischen Rechts geregelt haben möchten. Das geht auf den
Vertrag von Sèvres zurück.
Kanada
Der kanadische Arbitration
Act (1991) erlaubte es Christen, Juden und Muslimen in der Provinz
Ontario, häusliche Dispute (wie Scheidungs-, Vormundschafts-
und Erbschaftsklagen) vor einem religiösen Schiedsgericht zu
verhandeln, wenn alle Parteien damit einverstanden waren. Die Urteile
dieser Schiedsgerichte waren, sofern sie nicht geltendem kanadischen
Recht widersprachen, rechtskräftig. Damit wurde die Scharia
in Ontario in Spezialfällen von muslimischen Gerichten angewendet.
Im September 2005 wurde der Arbitration Act (auch wegen internationaler
Proteste durch Frauenrechtsorganisationen) derart geändert,
dass Entscheidungen auf Grund von religiösen Gesetzen nicht
mehr möglich sind.[28]
Niederlande
In den Niederlanden ist
die Diskussion über die Einführung der Scharia in vollem
Gange, nachdem der damalige niederländische Justizminister
Piet Hein Donner, ein Christdemokrat, im September 2006 erklärte,
er könne sich die Einführung der Scharia in den Niederlanden
gut vorstellen, wenn die Mehrheit der Wähler dafür wäre.
Mittlerweile wird diese Möglichkeit auch in universitären
Kreisen ernsthaft diskutiert. Ein Symposium an der Universität
Tilburg widmete sich dem Thema Sharia in Europe am 3. Mai 2007 und
lud dazu u. a. die palästinensisch-amerikanische Islamwissenschaftlerin
Maysam al-Faruqi von der Georgetown University in Washington, D.C.,
ein, die kein Problem darin sieht, die Scharia in den Niederlanden
einzuführen: Beide Rechtssysteme können mühelos
nebeneinander bestehen.
In den Vereinigten Staaten
(Rechtssystem: Common Law, das sich vor allem auf frühere Präzedenzfälle
stützt und daher von einzelnen Richtern leichter beeinflusst
werden kann), haben 2010 die Bundesstaaten Tennessee und Louisiana
die Anwendung der Scharia gesetzlich untersagt. In den Bundesstaaten
Florida, Mississippi, Utah misslang ein solcher Versuch. In zwölf
Bundesstaaten gibt es Anfang 2011 Gesetzesinitiativen, die die Anwendung
der Scharia unterbinden sollen.
Arabischer Frühling
2010 begannen in vielen
arabischen bzw. nordafrikanischen Ländern Revolutionen (zusammenfassend
Arabischer Frühling genannt). Im Zuge dieser Revolutionen kam
es in diesen Ländern zu Wahlen bzw. Verfassungsreferenden.
In vielen Ländern wurde bzw. wird diskutiert, welche Rolle
der Islam in Gesellschaft und Rechtssystem haben soll.
Bedeutung der Scharia nimmt kontinuierlich zu
Die Bedeutung der Scharia
nimmt seit etwa Mitte der 1970er Jahre in allen islamischen Ländern
wieder kontinuierlich zu. Auch in der laizistischen Türkei
mehren sich politisch einflussreiche Stimmen, die die Rückkehr
zum islamischen Scharia-Recht fordern.
Demgegenüber finden
jedoch auch immer mehr alternative Interpretationsansätze der
Scharia in der islamischen Welt Gehör wie Fazlur Rahman
in Pakistan, Muhammad Schahrur in Syrien, Abdulkarim Sorusch im
Iran, Muhammad Abed al-Jabri in Algerien, Hassan Hanafi in Ägypten
und nicht zuletzt viele Theologen in der Türkei.
Zurzeit ist die Scharia
Rechtsgrundlage in Nigeria (einige Bundesstaaten), den Malediven,
im Iran, in Saudi-Arabien (Artikel 23 lt. Verfassung), Bangladesch,
Mauretanien, Afghanistan, Sudan, in Gambia, Senegal, Katar, Kuwait,
Bahrain, Libyen, der indonesischen autonomen Provinz Aceh, Jemen
dort nebst Anwendung von Stammesgesetzen und in Teilgebieten
Pakistans.[16] In Somalia errang im Juni 2006 nach jahrelangem Bürgerkrieg
die Miliz Union islamischer Gerichte die Macht in der Hauptstadt
Mogadischu, eine Gruppe, die sich durch das Ziel definiert, eine
auf der Scharia basierende Rechtsordnung einzuführen (beispielsweise
Verbot, die Fußball-WM 2006 im Fernsehen zu verfolgen). Diese
Gruppe wurde Ende 2006 wieder gestürzt.
Im Zuge der Revolution
in Ägypten gab es im März 2011 ein Verfassungsreferendum.
Vom 28. November 2011 bis zum Januar 2012 fanden Parlamentswahlen
statt. Islam(ist)ische Parteien errangen über 70 % der Mandate.
Die Partei der Muslimbruderschaft (FGP) errang 37,5 % der abgegebenen
Stimmen.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Scharia
Im Jahr 1990 wurde bei
der 19. Außenministerkonferenz der Organisation der Islamischen
Konferenz (OIC) die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im
Islam beschlossen, welche als Leitlinie der z. Zt. 57 islamischen
Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Menschenrechte gelten soll. In
den abschließenden Artikeln 24 und 25 wird die religiös
legitimierte islamische Gesetzgebung, die Scharia, als einzige Grundlage
zur Interpretation dieser Erklärung festgelegt.
Die Erklärung wird
von Islam-Vertretern als islamisches Gegenstück zur Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte der UNO gesehen, von der sie jedoch
erheblich abweicht, da sie die Scharia zur Grundlage der Menschenrechte
erklärt.
Autor dieser Webseite:
Uwe Schütz
Quelle: wikipedia.de
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