Vorgeschichte
Die Entspannungspolitik
der 1970er Jahre führte zu bilateralen Abrüstungsverhandlungen
zwischen den USA und der Sowjetunion. Die ersten Rüstungskontrollverträge,
SALT I (1972) und II (1979), legten die Obergrenzen bei den strategischen
Atomwaffen, sowohl Trägersystemen wie deren Gefechtsköpfen
fest. Dabei wurde der besonders für Europa zentrale Bereich
der atomaren Kurz- und Mittelstreckenraketen jedoch ausgeklammert.
Die Rüstungsanstrengungen gingen hier auf beiden Seiten unvermindert
weiter, und es gab entscheidenden militärtechnologischen Neuerungen
- vor allem elektronische Selbstlenkung in Bodennähe und Mehrfachsprengköpfe,
die einzeln in verschiedene Ziele lenkbar waren.
Die UdSSR begann seit
1976, ihre ältere gegen Westeuropa gerichtete Raketengeneration
R-12 (Nato-Bezeichung: SS-4 Sandel) und R-14 (Nato-BezeichungSS-5
Skean) allmählich gegen die moderneren Raketen vom Typ RT-21M
(Nato-Bezeichung: SS-20 Saber) auszutauschen. Sie besaßen
eine höhere Reichweite und Zielgenauigkeit und konnten mit
atomaren Mehrfachgefechtsköpfen bestückt werden. In
der auf mobilen Abschussrampen montierten SS-20 sahen die europäischen
NATO-Verbündeten ihrerseits eine neue Bedrohung.
Die Entspannungspolitik
endete, als am
24.12.1979 sowjetische Truppen in Afghanistan einmarschierten.
Was bedeutet "Nato-Doppelbeschluss"?
Der Doppelbeschluss der
NATO vom 12.12.1979 bestand aus zwei Teilen:
1. Er bot dem Warschauer
Pakt Verhandlungen über eine beidseitige Begrenzung sowjetischer
und US-amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen an. Dabei
waren die französischen und ein Teil der britischen Atomraketen
aus dem Verhandlungsangebot ausgeschlossen.
2. Als Nachrüstung
und Modernisierung kündigte er die Aufstellung einer neuen
Generation US-amerikanischer Raketen und Marschflugkörper
- der Pershing II und BGM-109 Tomahawk - in Westeuropa an.
Beide Teile - Verhandlungen
und Nachrüstung - sollten parallel verlaufen. Nach
dem Scheitern der Verhandlungen begann am 10.12.1983 die Stationierung
von nuklearen Mittelstreckensystemen in der Bundesrepublik Deutschland
und Italien. 1987
vereinbarten die USA und die Sowjetunion im INF-Vertrag Rückzug,
Vernichtung und Produktionsverbot aller Raketen mit mittlerer und
kürzerer Reichweite in Europa. Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten
US-Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär der
KPdSU Michail Gorbatschow in Washington den INF-Vertrag, der offiziell
als The Treaty Between the United States of America and the Union
of Soviet Socialist Republics on the Elimination of Their Intermediate-Range
and Shorter-Range Missiles bezeichnet wird. Der amerikanische
Senat ratifizierte den Vertrag am 27. Mai 1988, am 1. Juni trat
er in Kraft. Am 9. Dezember 1987 wurde mit Unterzeichnung des INF-Vertrages
die weitere geplante Stationierung eingefroren. Bis zu diesem Zeitpunkt
waren 304 Marschflugkörper (19 Flights) einsatzbereit.
Proteste gegen Nato-Doppelbeschluss
Im Rahmen der Bundestagsdebatten
und der Stationierung der Mittelstreckenraketen kam es zu mehreren
Großdemonstrationen mit vielen 100.000 Teilnehmern und teilweise
spektakulären Aktionen wie Menschenketten und Sitzblockaden
vor Atomwaffenstandorten.
So fand anlässlich
des Besuchs des US-Präsidenten Ronald Reagan (9. - 11.06.1982)
und der NATO-Gipfelkonferenz auf deutschem Boden fand am 10.06.1982
eine Großdemonstration im Bonner Hofgarten statt.
Vor dem Deutschen Bundestag
betonte Reagan die US-amerikanischen Verpflichtungen zum Schutz
der Bundesrepublik mit den Worten: Deutschland, wir stehen
auf Deiner Seite! Auf der in Bonn tagenden NATO-Gipfelkonferenz,
an der Staats- und Regierungschefs von 16 NATO-Mitgliedsstaaten
teilnahmen, wurde in einer Bonner Erklärung die
Verteidigungsbereitschaft des Bündnisses und der Wille zur
Entspannung und Abrüstung betont.
Im Zusammenhang mit dem
Doppelbeschluss diskutierte der Deutsche Bundestag vom 13. und 16.
Juni 1983 die Große Anfrage der Grünen, ob Nuklearwaffen
mit dem Völkerrecht vereinbar seien.
Am
22.10.1983 protestieren insgesamt 1,3 Mio. Leute in Deutschland
gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen
- z.B. mit einer Menschenkette von Stuttgart bis Neu-Ulm. Sie kritisieren,
die Raketen seien keine Verteidigungs- sondern Angriffswaffen.
Nach Regierungswechsel stimmt der deutsche
Bundestag der Stationierung zu
Doch trotz Großdemos
und Kritik aus der eigenen Partei (SPD) hielt Bundeskanzler Helmut
Schmidt daran fest, nicht nur zu verhandeln, sondern gegen die auf
Europa ausgerichteten sowjetischen Atom-Raketen mit Pershing-II-Raketen
das Rüstungsgleichgewicht wieder herzustellen. Nach dem Zerbruch
der sozialliberalen Koalition stimmte der Deutsche Bundestag am
22.11.1983 der begonnenen Stationierung mit der Stimmenmehrheit
von CDU, CSU und FDP zu.
Nach dem Regierungswechsel
in der Bundesrepublik am 1.10.1982 erklärte der neue Bundeskanzler
Helmut Kohl am 13. Oktober 1982 in seiner Regierungserklärung
vor dem Deutschen Bundestag:
Frieden schaffen
ohne Waffen: Das ist ein verständlicher Wunsch, ein schöner
Traum, aber er ist vor allem eine lebensgefährliche Illusion.
Frieden schaffen nur durch Waffen: Das wäre eine tödliche
Verblendung. Frieden schaffen mit immer weniger Waffen: Das ist
die Aufgabe unserer Zeit. Wir unterstützen deshalb die im
Bündnis abgestimmten Initiativen, die in ihrer Gesamtheit
das bisher umfassendste Rüstungskontrollangebot an die sowjetische
Seite darstellen. Die Bundesregierung steht uneingeschränkt
zum Doppelbeschluss der NATO von 1979, zu jenem Beschluss, der
Verhandlungen über die Reduzierung und Begrenzung sowjetischer
und amerikanischer nuklearer Mittelstreckensysteme bietet. Sie
wird die Beschlüsse erfüllen und nach innen vertreten:
den Verhandlungsteil und - wenn notwendig - auch den Nachrüstungsteil.
Nur wenn die Sowjetunion weiß, dass sie mit einer Stationierung
amerikanischer Systeme ab Ende 1983 in Europa fest rechnen muss,
kann mit ihrer Bereitschaft gerechnet werden, zu guten Verhandlungsergebnissen
beizutragen.
Nach der Stationierung
der Pershing II-Raketen lenkte die Sowjetunion dann ein, und 1987
einigten sich die Supermächte auf den Abbau aller nuklearen
Mittelstreckenraketen in Europa. Helmut Schmidt musste als Bundeskanzler
sein Hut nehmen, der unmittelbare Fortgang der Geschichte gibt ihm
meines Erachtens jedoch Recht.
Quelle: wikipedia.de
Autor dieser Webseite:
Uwe Schütz
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