Hintergrund-Infos Odenwaldschule |
Die Odenwaldschule, von Insidern kurz "Oso" genannt, ist eine Internatsschule im Stadtteil Ober-Hambach der hessischen Stadt Heppenheim (Bergstraße). Sie wurde 1910 von Paul und Edith Geheeb gegründet. Die Schule befindet sich in freier Trägerschaft und galt 100 Jahre als Vorzeigeinternat der Reformpädagogik. Für einen Internatsplatz sind monatlich 2.370 € zu bezahlen (Stand Schuljahr 2012/13). Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte die Odenwaldschule insbesondere, seit Ende der 1990er-Jahre jahrzehntelanger systematischer sexueller Missbrauch durch verschiedene Lehrkräfte an Schülern bekannt wurde. Sexueller Missbrauch am Elite-InternatVorfälle zur Zeit ihres Gründers und Leiters Paul Geheeb (1910 1934)
Für ihre Dissertation "Idee und Gestalt einer Schule im Urteil des Elternhauses" (Abschluss der Arbeit im Jahre 1998) hat die Erziehungswissenschaftlerin Dipl.-Päd. Christl Stark Tausende Elternbriefe und die Antworten der Schulleitung, die in einem Keller des Internat lagerten, ausgewertet. "Viel häufiger als über homoerotische Aktivitäten seiner Kollegen verlangen Eltern von Geheeb Rechenschaft über vermutete oder bewiesene sexuelle Beziehungen ihrer Töchter zu Mitarbeitern der Odenwaldschule", schreibt die Wissenschaftlerin. Hier einige Beispiele. Der erste dokumentierte Fall ereignete sich bereits kurz nach der Gründung der Odenwaldschule: Ein Vater wirft einen Lehrer die Vergewaltigung seiner Tochter vor. Schulleiter und Gründer Paul Geheeb verteidigte seinen Kollegen mit dem Gutachten eines Arztes, das die Schülerin wegen eines stundenlangen, unbegründeten Schreianfalls als hochgradig hysterisch bezeichnet. Eine Mutter beklagt, man habe ihre Tochter "in häßlicher Weise in sexuelle Dinge eingeweiht". Durch das Wissen sei das Mädchen "fast zu ernst" geworden. Immer wieder verteidigt Schulleiter Geheeb die reformpädagogische Einrichtung. Wörtlich heißt es zu den Stellungennahmen der Schulleitung an Eltern in der wissenschaftlichen Arbeit:
In Laufe der 20-er-Jahren nehmen die Vorwürfe zu, am Internet würden moralisch unhaltbare Zustände herrschen. Der Schulleiter gelingt es, sich als Opfer von Neidern und Verleumdern darzustellen. Am 13. September 1924 schreibt eine Mutter an Geheebs Frau Edith. Die Mutter, E. M., schildert detailliert, was ihr zwölfjähriger Sohn ihr anvertraut hat: wie er von einem Erzieher missbraucht worden ist. Drei Wochen zuvor hatte ein Vater seine Tochter von der Schule abgemeldet mit der Begründung, er sei "sehr beunruhigt" ob "nächtlicher Besuche Erwachsener", die sie beobachtet habe. Veröffentlichung der Frankfurter RundschauAm 17. November 1999 berichtet Jörg Schindler über den jahrelangen sexuellen Missbrauch von Schülern durch den früheren Schulleiter der Odenwaldschule Gerold Becker.
Der Artikel beruht auf Informationen eines ehemaligen Schülers, der am 12. November 1997 einen Brief an den Theologen und "Familienhaupt" Gerold Becker geschickt hatte,um eine Aufarbeitung anzustoßen. Nachdem der nicht angemessen reagiert, wandte sich gemeinsam mit einem ehemaligen Mitschüler am 10. Juni 1998 an den amtierenden Schulleiter der Odenwaldschule, Wolfgang Harder, und 26 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und infomrierte über die sexualisierte Gewalt, die von dem ehemaligen Schulleiter Gerold Becker in dessen Amtszeit (1972-85) an Schülern der Odenwaldschule begangen wurde. (Quelle: wikipedia.de) Nachdem es keine Aufarbeitung gab, wandte sich der Schüler an die Presse. Die Frankfurter Rundschau sei die einzige Redaktion gewesen, die bereit war, die Vorfälle publik zu machen, schreibt der Schüler in seinem Buch "Wie laut soll ich denn noch schreien?" Am 17. November 1999 erreichten
sie die mediale Öffentlichkeit. Odenwaldschule in Misskredit [2]
titelte die Frankfurter Rundschau auf Seite 1. Der Lack ist ab [3] nannte
der Journalist Jörg Schindler seinen Artikel auf Seite 3 der Ausgabe
der überregionalen Frankfurter Tageszeitung. Zum damaligen Verhalten
anderer Redaktionen äußert Huckele: Es ist, als sei eine Generation
von Journalisten abgetreten, die das Thema entweder bewusst verhindert
oder einfach nicht erkannt hat. Schulleiter Gerold Becker und der Schüler lebten - wie in den gut 20 deutschen Landeserziehungsheimen überlich - jahrelang unter einem Dach. Die Odenwaldschule im südhessischen Ober-Hambach bei Heppenheim halt dabei als Vorzeigeeinrichtung. Lehrer sind gleichzeitig "Familienhäupter" , die sich in den idyllischen Wohnhäusern um sechs bis zwölf Minderjährige kümmern. Ein AuszugWörtlich heißt es in dem Artikel von Jörg Schindler:
Auszug aus dem Artikel "Der
Lack ist ab" auf Seite 3 der Frankfurter Rundschau vom 17.11.1999.
Was wusste die Politik?Laut Aussage des früheren Schulleiters Wolfgang Harder habe sein Vorgänger Gerold Becker in der letzten Augustwoche 1998 dem damaligen hessischen Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD) über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Schülern schriftlich oder/und mündlich berichtet. In den Akten des Ministeriums, so die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP) gegenüber der FAZ, sei diese Information an Holzapfel nicht dokumentiert. Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD selbst hatte im Gespräch mit der FAZ gesagt, es habe keinen Anlass gegeben, der Odenwaldschule besonderes Augenmerk zu widmen. Die Schule habe seinerzeit einen untadeligen Ruf genossen. In der Amtszeit Holzapfels von 1991 bis 1999 war Becker als Berater des Ministeriums für die damals vier hessischen Reformschulen zuständig. Mit der Veröffentlichung der Vorwürfe durch den Bericht der Frankfurter Rundschau am 17.11.1999 löste Holzapfels Nachfolgerin Karin Wolff (CDU) den Beratervertrag mit Gerold Becker. Aufarbeitung und EntschädigungAls am 17. November 1999 Jörg Schindlers ganzseitiger Artikel über sexualisierte Gewalt an der Odenwaldschule erschien, führte dies zu keiner nennenswerten öffentlichen Debatte; weder berichteten andere Medien darüber noch reagierten Politik oder Strafverfolgungsbehörden. Der 1. Zeitungsartikel von der Frankfurter Rundschau erschien auch erst, nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Schulleiter Gerold Becker wegen Verjährung eingestellt hatte. Aber auch in anderen Fällen von sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener durch verschiedene Lehrkräfte kam es zu einem Rechtsurteil. Im Mai 2020, zehn Jahre nach Aufdeckung der Taten und rund fünf Jahre nach Schließung der Odenwaldschule, gab die Stiftung Brücken bauen bekannt, dass bisher mehr als 573.000 Euro an die Missbrauchsopfer ausgezahlt worden seien. 46 Opfer hätten Entschädigungszahlungen über die Stiftung erhalten. Der Stiftung seien 140 Opfer bekannt, von denen viele aber bewusst keinen Antrag gestellt hätten beziehungsweise vor einer Antragsstellung zurückschreckten, da dies wieder mit einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema verbunden wäre. Image- und Finanzkrise 2014Im April 2014 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Besitzes von Kinderpornografie und wegen sexueller Übergriffe gegen einen Lehrer der Odenwaldschule. Der entscheidene Hinweis soll von australischen Behörden gekommen sein. Kritiker werfen der Odenwaldschule vor, nichts aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Manche von ihnen - auch ehemalige Schüler - fordern, die Schule zu schließen. Im Juli meldet DER SPIEGEL, der Trägerverein der Odenwaldschule habe das Leitungsteam entlassen und auf Druck der hessische Aufsichtsbehörden würde man das Internatskonzept grundlegend ändern. Die Lehrerschaft der Schule sei tief gespalten in der Frage, ob sie sich von dem alten Familienprinzip trennen soll. Im August meldet die Frankfurter
Rundschau (21.08.2014), das Land Hessen habe für das kommende Schuljahr
die Genehmigung erteilt. Gründe dafür, dass keine dauerhafte
Betriebsgenehmigung erteilt wurde, sei unter anderem, dass die Finanzierung
nur für ein weiteres Jahr gesichert sei und die Internatsleitung
und Geschäftsleitung zum 1. Dezember neu zu besetzen seien. Im Oktober 2014 meldet auch DER SPIEGEL, die krisengeschüttelte Odenwaldschule kämpfe mit Geldproblemen. Auf Druck der hessischen Aufsichtsbehörden gäbe man nun ihre Rechtsform als Verein auf und hofft, als Stiftung Unterstützer zu finden. Die
Schülerzahl war nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen
auf ca. 140 deutlich zurückgegangen. Die Aufsichtsbehörden müssten
dem Umbau noch zustimmen. Doch die Aufgabe des Prinzips der Internatsfamilie,
in der Lehrer gleichzeitig als Familienhäupter fungierten,
ist nicht nur teuer, sondern rührt auch an die Grundfesten der Schule.
Es war die Idee der Odenwaldschule, als Paul Geheeb sie 1910 als Landerziehungsheim
gründete, Leben und Lernen nicht mehr zu trennen. zum Kalenderblatt über sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule |
Autor dieser Webseite: Uwe Schütz