Der Staat subventioniert Abtreibung, aber
nicht Verhütung
Ein drittel der Frauen verzichten auf Verhütung, weil das
Geld fehlt
04.02.2008: Weil die
Kosten für Verhütungsmittel weder von den Krankenkassen
noch vom Staat übernommen werden, können sich arme Frauen
in Deutschland Pille oder Spirale kaum leisten. Immer wieder komme
es deshalb zu ungewollten Schwangerschaften, beklagen Expertinnen
aus den Beratungsstellen. Geldnot verändert das Verhütungsverhalten,
belegt eine Pilotstudie. Ein drittel der Frauen, die Arbeitslosengeld
II beziehen, verzichten auf Verhütung, weil das Geld fehlt.
Studie: Auswirkungen der gestrichenen Kostenübernahme von
Verhütungsmitteln
«Familienplanung
gibt es praktisch nur theoretisch», lautet der zweideutige
Titel einer Masterarbeit, die die Sozialpädagogin Annelene
Gäckle im vergangenen Frühjahr an der Fachhochschule Merseburg
verfasst hat. Sie hat in der Studie erstmals die Auswirkungen der
gestrichenen Kostenübernahme von empfängnisverhütenden
Mitteln untersucht. Beleuchtet wird das Verhütungsverhalten
von Alg-II-Empfängerinnen und deren Einstellungen zu möglichen
ungewollten Schwangerschaften.
Gäckle hat in Zusammenarbeit
mit der Beratungsstelle pro
familia Köln-Zentrum und anderen sozialen Trägern
im Großraum Köln 69 Frauen befragt, die zu zwei Dritteln
bereits seit mehreren Jahren von staatlicher Unterstützung
leben. Ihr Durchschnittsalter betrug 30 Jahre. 80 Prozent der Frauen
gaben an, dass das Alg II für die Finanzierung von Verhütungsmitteln
nicht ausreiche.
Vor dem Bezug staatlicher
Unterstützung gaben zwei Drittel der Frauen an, immer zu verhüten.
Nur sechs Prozent sagten, beim Sex nie zu verhüten. In der
Abhängigkeit von Sozialleistungen ergibt sich dagegen folgendes
Bild: Nur ein Drittel der Frauen verhütet immer. 16 Prozent
verhüten gar nicht.
AlgII-Empfängerinnen sollten wieder kostenlos Zugang zu Verhütungsmitteln
haben
Für den Bundesverband
pro
familia liegt die Lösung des Problems auf der Hand: Alle
Hilfeempfängerinnen sollten wieder kostenlos Zugang zu Verhütungsmitteln
haben. Das, so Pressesprecherin Regine Wlassitschau, sei bis Ende
2003 über das Bundessozialhilfegesetz auch so geregelt gewesen.
Doch seit der Gesundheitsreform und dem Hartz-IV-Gesetz bestünden
gravierende Defizite in der Verhütungsversorgung.
Im Regelsatz kommen Verhütungsmittel
nicht vor, kritisiert der Verband. Es gibt zwar das Segment «Gesundheitsvorsorge»,
doch für Arztbesuche und Medikamente stehen pro Monat nur 13,17
Euro zur Verfügung. Davon auch eine angemessene Verhütung
bezahlen zu wollen, sei für die meisten Frauen «schlichtweg
unmöglich», so Wlassitschau.
Pro Monat kostet die
Pille etwa zehn Euro, für eine Spirale werden je nach Qualität
etwa 150 Euro fällig, die Sterilisation einer Frau schlägt
mit bis zu 500 Euro zu Buche. Für viele Hilfeempfängerinnen
sei das viel Geld, sagt Ingrid Reutemann, die bei der badischen
Diakonie für die Schwangerschaftskonfliktberatung zuständig
ist. 345 Euro im Monat haben Betroffene zur Verfügung, wenn
sie nicht in einer Partnerschaft leben. Bei Frauen mit Partner sind
es 311 Euro.
Bei Frauen unter 18 Jahren
übernimmt die Krankenkasse die Kosten für Verhütungsmittel,
ab 18 Jahren müssen diese selbst bezahlt werden. Früher
habe das Sozialamt bei Frauen mit wenig Geld nach individuellen
Absprachen die Kosten übernommen, «aber das geht inzwischen
nicht mehr», erklärt Reutemann.
«Es kann nicht angehen, dass Schwangerschaftsabbrüche
vom Staat bezahlt werden, Verhütungsmittel aber nicht»
Mit den Folgen werden
die Expertinnen in den Beratungsstellen immer wieder konfrontiert.
Der katholische Verein «Frauenwürde» beriet eigenen
Angaben zufolge im vergangenen Jahr vermehrt ungewollt schwangere
Frauen, die von Arbeitslosengeld II leben - Frauen, die oft allein
aus Geldnot über eine Abtreibung nachdenken.
Bei Frauen, die sich
einen Abbruch nicht leisten können, übernimmt fast immer
der Staat die Kosten. Allein in Baden-Württemberg war das 2007
nach vorläufigen Zahlen des Sozialministeriums rund 12.700
Mal der Fall.
Auch «Frauenwürde»
fordert eine Gesetzesänderung, um armen Frauen die Kosten der
Verhütung wieder zu erstatten. Vorsitzende Annegret Laakmann:
«Es kann nicht angehen, dass Schwangerschaftsabbrüche
vom Staat bezahlt werden, Verhütungsmittel aber nicht.»
Quelle: jesus.de-Newsletter
vom 03.02.2008 / epd
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