Journalistische Provokation?
Die "Studentin", die mit ihrer Fahrt im Linienbus weltweit
Schlagzeilen machte, war eine Journalistin
29.02.2012: Tanja Rosenblit,
28, machte weltweite Schlagzeilen: Sie hatte sich im Linienbus 451
von Aschdod nach Jerusalem mit einem ultraorthodoxen Juden angelegt
und sich geweigert, auf einer hinteren Bank im Bus Platz zu nehmen.
Die "junge Frau", in israelischen Medien auch als "Studentin"
bezeichnet, wurde von einigen Kommentatoren als "Heldin"
bezeichnet. Sie wurde mit Rosa
Parks verglichen, die hatte 1955 in den USA Geschichte geschrieben,
als sie sich weigerte, als als afroamerikanische Bürgerin einem
weißen Fahrgast ihren Platz im Bus zu räumen.
In den Abendnachrichten
des israelischen Fernsehens wurde ausführlich über den
Vorfall berichtet, zumal Premierminister Benjamin Netanjahu am Sonntag
mit dem Thema sogar die Kabinettssitzung eröffnet hatte: "Die
israelische Gesellschaft ist ein Mosaik aus Juden und Arabern, Frommen
und Weltlichen... Heute hörte ich, dass Randgruppen versuchen,
diese Koexistenz zu stören. Ich bin strikt gegen jenen Fall,
wo eine Frau in einem Bus gezwungen wurde, sich nach hinten zu setzen..."
Kurz nach dem Vorfall
wurde die "Studentin" in der Nachrichtensendung in der
Knesset gezeigt, wo Verkehrsminister Israel Katz ihr die Hand schüttelt
und sie für "Mut und Zivilcourage" lobt. Dutzende
Fotografen und Fernsehkameras hielten die Worte des Ministers fest,
zweifellos ein populistischer Lichtblick für den Likudpolitiker
für die bevorstehenden parteiinternen Wahlen Ende Januar.
Dann gibt sie allen israelischen
Fernsehkanälen exklusive Interviews. Unter ihrem Namen steht:
"Produzentin von Jewish News 1". Eine schnelle Recherche
ergab, dass sich ihr Arbeitgeber, der Fernsehsender "Jewish
News 1", als jüdische "Alternative für CNN,
Fox-News und Sky" präsentiert. Und während Rosenblit
im Interview beschreibt, wie sie sich auf den Platz hinter dem Busfahrer
setzen wollte, bis ein ultraorthodoxer Jude sie aufforderte, sich
in den hinteren Teil des Busses zu begeben, brachte der israelische
Nachrichtensender von Rosenblit aufgenommene Fotos des Zwischenfalles.
Zu sehen sind der ultraorthodoxe Jude, der sie von ihrem Platz vertreiben
wollte und ein herbeigerufener Polizist.
Professionelle Vorgehensweise
Als Produzentin bei einem
Fernseh-Nachrichtensender handelte Rosenblit professionell und geistesbewusst,
indem sie die Szenen fotografisch dokumentierte. Auch das Zustandekommen
eines schnellen Treffens mit dem Verkehrsminister und die nachfolgenden
Interviews passen eher zum Vorgehen eines Profis. Das alles dürfte
ganz im Sinne ihrer Arbeitgeber gewesen sein, denn "Jewish
News 1" betreibt eine Kampagne gegen die Ultraorthodoxen, gemessen
an der Zahl der gefilmten Beiträge zu dem Thema auf deren Homepage.
Im israelischen Fernsehen lobt Oberrabbiner Jonah Metzger die junge
Frau, hat aber auch einen Einwand: "Ich bin gegen Provokationen!"
In dem Fernsehbericht
wird noch an ein Urteil des Obersten Gerichts vom Januar erinnert,
wonach Frauen nur "freiwillig" in den hinteren Teil eines
Busses verdrängt werden dürften, und das nur in Buslinien,
die ultraorthodoxe Viertel bedienen. Auf der Strecke Aschdod-Jerusalem
fahren jedoch ganz "normale" Linienbusse.
Kein Wort in deutschen Medien, dass die junge Frau eine Fernsehjournalistin
war
Die Deutsche Presse-Agentur
dpa kommentierte in ihrem ausführlichen Bericht zu dem Vorfall:
"Die zunehmende Verdrängung von Frauen aus der Öffentlichkeit
in religiösen Stadtgebieten Israels hat zuletzt Sorgen vor
einer Radikalisierung der Gesellschaft geweckt." Dass es sich
bei dieser "Heldin" und Vorkämpferin für Frauenrechte
in Israel um eine Journalistin handelt, noch dazu um die Mitarbeiterin
eines Fernsehsenders, der selber eine Kampagne gegen Ultraorthodoxe
durchführt, wurde von dpa nicht erwähnt.
Immer wieder suchen Journalisten die Provokation
Es ist anzunehmen, aber
nicht nachweisbar, dass Tanja Rosenblit den Vorfall bewusst provoziert
und deshalb dokumentiert hat.
In Israel bereiten freilich
nicht nur die Ultraorthodoxen Sorge, wegen ihrer Versuche, Werte
und Sitten der Mehrheit aufzuzwingen. Umgekehrt haben Provokationen
von Journalisten immer wieder lebensgefährdende Vorfälle
ausgelöst.
Berühmt berüchtigt
ist der vermeintliche Tod des Muhammad al-Dura in den Armen seines
Vaters an der Netzarim-Kreuzung im Gazastreifen am ersten Tag der
Intifada durch Schüsse israelischer Soldaten im September 2000.
Gerichtsverfahren in Paris, Untersuchungen der israelischen Armee
und unabhängiger Ärzte sowie eine filmische Dokumentation
von Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk haben inzwischen nachgewiesen,
dass Al-Dura gar nicht von israelischen Soldaten getroffen werden
konnte, und dass der 12-Jährige offenbar unverletzt lebte,
als er nach den vermeintlich tödlichen Schüssen den Arm
hob, um sich gegen die blendende Sonne zu schützen. Doch in
der Welt wirkte der Ruf des Kameramanns von "France 2":
"Das Kind ist tot".
Quelle: Israelnetz.de-Newsletter
vom 19. Dezember 2011, U. Sahm
Autor dieser Webseite:
Uwe Schütz
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