Die Ideologie des Mahmud Ahmadinedschad
von Johannes Gerloff,
Jerusalem
Die islamische
Revolution im Jahr 1979 war von messianisch-endzeitlichen Erwartungen
begleitet. Das Volk gab Ajatollah Ruhollah Chomeini den Titel "Imam",
der bis dahin den zwölf direkten Nachfahren von Ali Ibn Abi
Talib, dem Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, vorbehalten
war. Die Imame, so glauben schiitische Muslime, hatten eine besondere
göttliche Berufung und dadurch auch eine einzigartige Begabung,
die Gläubigen zu führen.
Seit 931 fehlt den Schiiten die direkte göttliche Leitung
931 nach Christus verschwand
der zwölfte und letzte Imam, Mohammed al-Mahdi, spurlos. Seitdem
fehlt der schiitischen Glaubensgemeinschaft die direkte göttliche
Leitung durch einen Imam - und seitdem erwarten Schiiten die Rückkehr
des "Mahdi". Wenn dieser zwölfte Imam erscheint,
so die schiitische Lehre, werden alle Übel dieser Welt behoben
und göttliche Gerechtigkeit eingerichtet. Die gesamte Menschheit
wird die Wahrheit des schiitischen Islam anerkennen und sich ihr
unterwerfen. Bis zur Offenbarung des verborgenen Imams fungieren
hohe schiitische Geistliche als seine Vertreter und regeln religiöse
und rechtliche Fragen der schiitischen Gemeinschaft.
Mit Ahmadinedschad ist die Trennung von Politik und Mahdi-Erwartung
aufgehoben
Chomeini predigte die
Mahdi-Erwartung, und dass die schiitische Glaubensgemeinschaft die
Offenbarung des Mahdi nicht nur passiv abwarten, sondern auch aktiv
vorbereiten solle. Aber seinerzeit hatten diese Vorstellungen keine
konkreten politischen Auswirkungen. Die Nachfolger Chomeinis auf
der politischen Bühne, Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (1989-1997)
und Mohammed Chatami (1997-2005), bemühten sich um eine strikte
Trennung von Politik und Mahdi-Erwartung. Mit der Wahl von Mahmud
Ahmadinedschad zum Präsidenten der islamischen
Republik Iran im August 2005 wurden diese apokalyptisch-messianischen
Vorstellungen erstmals zu einer politischen Macht.
Bedingungen für die Ankunft des islamischen "Messias"
schaffen
Bereits im Januar 2005
hatte Irans höchster Führer, Ajatollah Ali Chamenei, verkündet:
"Heute ist die Zeit, um die Bedingungen zu schaffen, die eine
Herrschaft des Imam Mahdi, möge Allah seine edle Erscheinung
herbeiführen, ermöglichen." - Den Vorstellungen iranischer
Schiiten zufolge wird der zwölfte Imam bei seiner Offenbarung
durch die Boulevards von Teheran ziehen - was Mahmud Ahmadinedschad
als Bürgermeister bei seinen städtebaulichen Planungen
berücksichtigte. Er wird die heilige Stadt Qom besuchen - weshalb
Ahmadinedschad als Präsident die Dschamkaran-Moschee in Qom
renovieren ließ. Wer an die Wiederkunft des Mahdi glaubt,
bereitet sich auf sie vor. In einer Rede in der Provinz Kerman verkündete
der iranische Präsident im Mai 2007: "Wir haben eine Mission
- den Iran in das Land des verborgenen Imam zu verwandeln."
Anhänger der messianisch-apokalyptischen Vision
Im Gegensatz zu seinem
Vorgänger Chatami, der das islamische Revolutionsregime der
Realität anzupassen suchte, ist Ahmadinedschad Idealist. Er
glaubt an das Erbe des Ajatollah Chomeini. Mahmud Ahmadinedschad
ist ein Kind der islamischen Revolution. Er verkörpert den
Generationswechsel von den Vätern der Revolution zu den Söhnen
der Revolution. Damit ist kein grundlegender Wandel der Ideologie
verbunden. Vielmehr will diese zweite Revolutionsgeneration die
Reinheit der ursprünglichen Lehre wieder herstellen. Ahmadinedschad
und seine Weggefährten sind Veteranen der Revolutionsgarden.
Durch diese Erfahrungen und Verbindungen hat er viel mehr Macht
als seine Vorgänger.
Der persönliche
Mentor des iranischen Präsidenten ist Ajatollah Mohammed Taqi
Misbah Jasdi, ein exponierter Anhänger der messianisch-apokalyptischen
Vision von der künftigen Weltherrschaft des Mahdi. Nach Ansicht
dieser Schiiten gibt es in jeder Generation einmal die Möglichkeit
für eine Rückkehr des mystischen Imams. Jasdi vertritt,
dass "die gegenwärtige Schlacht gegen die Ungläubigen,
Irrlehren und die weltweite Arroganz [d.i. den Westen]
die Offenbarung des zwölften Imam vorbereitet und beschleunigt."
Eine Völkerschlacht kündigt das Kommen des zwölften
Imam an - Harmaggedon?
Ähnlich alttestamentlich-jüdischen
Vorstellungen von "Gog und Magog" oder neutestamentlich-christlichen
Lehren über "Harmageddon" geht auch dem Erscheinen
des islamischen "Messias" ein weltweites Blutvergießen
voraus. Eine Völkerschlacht kündigt das Kommen des zwölften
Imam an. Muslime können, so die Überzeugung der Mahdi-Gläubigen,
durch ihr Verhalten den Advent des Mahdi beschleunigen oder hinauszögern.
Wenn in der Welt Ordnung
herrscht, hat der Mahdi keinen Grund, wiederzukommen. Deshalb suchen
Leute wie Jasdi oder Ahmadinedschad einen Konflikt der Zivilisationen
und die Konfrontation, oder zumindest suchen sie einen Weltkrieg
nicht zu verhindern. Großajatollah Chomeini beispielsweise
wird von ihnen beschuldigt, die Rückkehr des zwölften
Imams verhindert zu haben, als er sich 1988 auf einen Waffenstillstand
mit dem Irak einließ. Denn erst wenn die Bedrängnis auf
Erden so groß ist, dass der Mahdi seine Barmherzigkeit nicht
mehr zurückhalten kann, wird er zur Offenbarung seiner Herrschaft
getrieben.
Mahmud Ahmadinedschad
hat im Rahmen seines Wahlkampfes nicht nur offen davon geredet,
das Kommen des Mahdi vorbereiten zu wollen. Er legte sich auch konkret
fest. Im Dezember 2006 wünschte er in einer Rede in Kermanschah
den Christen ein frohes Weihnachtsfest und meinte: "Ich verkünde
hiermit, dass - mit Gottes Hilfe - der Tag nicht fern ist, an dem
Jesus an der Seite des verborgenen Imam zurückkehren wird."
Seine Politik legitimiert er durch die unmittelbar bevorstehende
Wiederkunft des Mahdi und behauptet, in direktem Kontakt mit Gott
zu stehen.
In der Vergangenheit
hatten schiitische Gelehrte jeden unterdrückt, der vorgab,
einen direkten Kontakt mit dem verborgenen Imam zu haben. Jetzt
behauptet Mahmud Ahmadinedschad öffentlich, in persönlichem
Kontakt mit dem mystischen, verschollenen Schiitenführer zu
stehen. Der Mahdi habe ihm die Präsidentschaft vorausgesagt,
und jetzt treffe er sich regelmäßig alle zwei Wochen
mit ihm. Ahmadinedschad scheut sich nicht vor konkreten Festlegungen.
So gab er bekannt, der zwölfte Imam habe ihm gesagt: "In
den nächsten zwei Jahren werde ich zurückkehren und den
Gläubigen Gerechtigkeit bringen."
Unverkennbar war das
göttliche Sendungsbewusstsein Mahmud Ahmadinedschads, als er
berichtete, wie er seine eigene Rede 2005 vor der Generalversammlung
der Vereinten Nationen erfahren hatte. Gebannt hätten die 190
Vertreter der Weltgemeinschaft seinen Ausführungen zugehört,
während er eine göttliche Gegenwart auf sich ruhen fühlte.
Mahmud Ahmadinedschad redet ohne Scheu von "einem Heiligenschein"
oder einer "Aura", die er um seinen Kopf gehabt habe,
während der verborgene Imam selbst sich auf seine rechte Schulter
gelehnt und ihm gesagt habe, was er den UNO-Vertretern verkünden
solle.
Kritiker: Mahdi-Erwartung illegitim wird für politische Zwecke
missbraucht
Natürlich sind derartige
Gedankengänge auch innerhalb der schiitischen Gemeinschaft
selbst nicht unumstritten. Nicht alle Schiiten im Iran glauben,
dass man einen Krieg anzetteln müsse, um das Kommen des Mahdi
zu beschleunigen. Viele, die mit einer tatsächlichen Wiederkunft
des zwölften Imam rechnen, gehen davon aus, dass man einfach
warten solle, bis sich die von Allah bestimmte Zeit erfüllt.
Die heilige Stadt Qom
ist eine Eliteschmiede und hat für den schiitischen Iran in
etwa die Bedeutung, wie die Universitäten Oxford oder Cambridge
für Großbritannien oder die Kaderschmieden Harvard und
Princeton für die USA. Von den etwa 90 Schulen in Qom dürften
es Einschätzungen von Experten zufolge etwa zwei sein, die
die extreme Sichtweise eines Ajatollah Misbah Jasdi unterstützen.
Auf ganz unterschiedlichen
Ebenen formiert sich im Iran und innerhalb des schiitischen Islams
Widerstand gegen die Vorstellungen Mahmud Ahmadinedschads und seiner
Hintermänner. Einflussreiche Geistliche werfen ihnen vor, die
Mahdi-Erwartung illegitim für politische Zwecke zu missbrauchen.
Der iran-stämmige Journalist Amir Taheri behauptet gar, dass
die Mehrheit der schiitischen Führung innerhalb und außerhalb
des Irans gegen das herrschende Regime eingestellt sei: "Alle
Großajatollahs sind heute bittere Feinde der Regierung, die
sie der Verdrehung schiitischer Theologie bezichtigen."
Autor: Johannes Gerloff,
Journalist in Jerusalem
AREF, 18.07.2007
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